Von wegen moralischer Asket und Einsiedler. Wulff hat die Feste gefeiert, wie sie fallen. Dabei hat er über die Verfehlungen anderer stets hart geurteilt.
Maß für Maß“ heißt Shakespeares wohl bitterste Komödie, in der ein Herzog in Wien sich verkleidet, um Korruption, Missstände, Vetternwirtschaft und Begünstigungen bei seinem Statthalter auszuspionieren. Hannover ist nicht Wien. Und die Durchstechereien und Amigo-Geschäfte (die im heutigen Wien übrigens auch heftiger toben als im heutigen Hannover) finden in Bierkellern bei Tischfußball statt, oder man schnorrt sich in den Ferien durch fremde Luxusvillen und Ferienbetten von betuchten Geschäftsleuten, auch wenn man Ministerpräsident ist und später Präsident wird.
- FOTO: DAPD/DAPDGute Laune: Der damalige niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (r.), seine Ehefrau Bettina (2.v.l.), der AWD-Gründer Carsten Maschmeyer (l.) und die Schauspielerin Veronica Ferres auf einer Veranstaltung in Hannover
Auch das Häuschen ist kein Wiener Palazzo, aber die 500000 Euro wollten dennoch besorgt sein. Das alles ist zur Genüge bekannt, durch alle Zeitungen gemangelt worden. Nun, spät, aber doch, und, wie ich fürchte, zu spät und zu verquast, hat der Präsident sich wegen „mangelnder Gradlinigkeit“ entschuldigt. Tapfer ließ er seinen Pressesprecher, mit dem er zwölf Jahre lang „wie ein siamesischer Zwilling“ verbunden war, konsequent über die Klinge springen. „Bauernopfer“ heißt das in hochherrschaftlichen Schach-Welten für den König und seine Dame. „Den Sack für den Esel schlagen“, heißt das bei Bauern.
Jetzt die Weihnachtsansprache Wulffs, scheinbar frei von jeder Altlast, und da heutige Bürger mündiger sind als die italienischen Wiener in Shakespeares elisabethanischer Komödie, werden sie sich angesichts der piefigen, verdrucksten Kegelbrüder-artigen Geschäftsverbindungen wahrscheinlich auf die Schenkel schlagen, wenn der Präsident die bürgerlichen Tugenden wie Aufrichtigkeit, Wahrheit, Maßhalten in der Krise und geistige Kreditwürdigkeit beschwört.
Wulff im Schafspelz
Maß für Maß heißt ja in unserer Vergnügungsgesellschaft eher „O'zapft is!“ oder „Hoch die Tassen!“ auf hannoverschen Hochzeitsfeten, die der Freunderlskreis gleich zweimal für den künftigen Präsidenten und Ministerpräsidenten anrichten ließ.
Nun hatte aber Wulff dabei ein besonderes Pech, da er sich zu der Zeit, als sein Schmierenstück noch nicht spielte, sozusagen als Wulff im Schafspelz, unter seinen hannoveranischen Mitbürgern und Osnabrücker Freunden verstecken konnte. Damals feierte noch nicht die CDU im berüchtigten Freundeskreis, sondern die SPD. Der damalige Wulff hieß Schröder und ließ sich von seinem Gönner Carsten Maschmeyer als Ex für eine Million eine Autobiografie schmeißen.
Maschmeyer, so scheint es, kennt keine Parteien, sondern nur Freunde. Ob CDU oder SPD, für ihn waren das gleiche Narren, gleiche Kappen. Und so bezahlte er für Wulff auch die Anzeigen zu einem Buch, und der gleiche Schröder-Freund Manfred Bissinger schrieb dazu ein Vorwort, in dem er die absolute Unbestechlichkeit und Unkäuflichkeit des CDU-Ministerpräsidenten lobte. Er machte den Ministerpräsidenten Wulff dabei geradezu zum moralischen Asketen und Einsiedler und fand dabei ein seltsam treffendes Kompliment: Wulff habe die Cowboy-Weisheit stets befolgt und oft zitiert: „Steig ab, bevor das Pferd tot ist.“ Dabei hatte Maschmeyer gerade auf die literarische Schindmähre draufgesattelt.
"Ich leide physisch darunter"
Das alles ist Boulevard, nicht so elegant wie in Wien, und erst recht nicht so moralisch wie bei Shakespeare – aber was kann man in Hannover schon erwarten? Also: Wulff, noch weit von den Fleischtöpfen der Macht entfernt und noch auf einem asketischen Weg nach oben, musste erleben, wie ein SPD-Präsident, nämlich Johannes Rau, wegen eines privaten Flugticket-Missbrauchs als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen erwischt wurde. Da schüttelte es den jüngeren Wulff förmlich vor Ekel, und er gab zu Protokoll: „Ich leide physisch darunter, dass wir keinen unbefangenen Bundespräsidenten haben.“ Maß für Maß? Das wäre doch ein wunderbar passender Satz für seine Weihnachtsrede gewesen, nur leicht vom „Wir“ ins „Ich“ übertragen: „Ich leide physisch darunter, dass ich kein unbefangener Bundespräsident bin.“ So redet ein tapferer Mann!
1999 hatte Niedersachsen noch einen SPD-Ministerpräsidenten, Gerhard Glogowski, der sich in seiner Heimatstadt Festgelage spendieren ließ und mit Geschäftsleuten auf Reisen ging. Streng urteilte Wulff: „Er hat sich verheddert in einem Geflecht von Beziehungen, zu denen er nicht die notwendige Distanz gehabt hat. Eine wichtige Voraussetzung für das Amt.“ Gut gebrüllt, Löwe!, kann man da nur mit Shakespeare sagen, und auch das hätte sich in der Rede gut mit dem „Ich“-Pronomen gemacht: „Ich hatte mich verheddert in einem Geflecht von Beziehungen, zu denen ich nicht die nötige Distanz gehabt habe. Eine wichtige Voraussetzung für mein Amt.“
Und da sein Vorgänger Schröder von Anfang an ein fröhlicher Genussmensch war, der Zigarren, Bier und Gesang liebte, und zu großzügig war, immer zu fragen, wer denn die Zeche zahlt, sondern lieber sang: „Bringt mir noch ´ne Flasche Bier!“, meinte Wulff damals pikiert: „Genuss ist mir im Gegensatz zu Schröder eher fremd.“ Klar, Schröder war in der falschen Genuss-Partei. Jetzt, wie man weiß, feiert Wulff die Feste, wie sie fallen, und wie hoch auch die Kosten für seine Freunde ausfallen. Auch darüber vergießt er keine Krokodilstränen in seiner Weihnachtsrede.
„Was geb ich auf mein dummes Geschwätz von vorgestern“
Nun gehört zur echten Reue und Einsicht, dass man Buße tut und auf sein Amt verzichtet, wenn es den eigenen strengen Maßstäben nicht gehorcht. Nochmals: Maß für Maß. Aber da gibt Wulff lieber seinem siamesischen Bruder einen Fußtritt in den Hintern, so als wollte er sagen: Das, was ich bisher gequatscht habe, hat sich doch dieser dumme Kerl ausgedacht. Ich will nur sagen: Aus dieser Nummer kommt der Präsident nicht mehr raus, auch wenn er ewig Präsident bliebe.
Sie liegt gedruckt und von Maschmeyer finanziert vor, heißt: „Besser die Wahrheit“ (Ehrenwort! So lautet der Titel!) und ist ein Interview-Buch. Jetzt könnte Wulff zurücktreten und mit Giovanni di Lorenzo danach ein Buch schreiben, das den Guttenberg-Titel trägt: „Vorerst gescheitert“. Da brauchte er keinen Mäzen, das Buch würde sich wie warme Semmeln verkaufen, und Wulff könnte auf eigene Kosten Urlaub an mondänen Stränden machen. Da dies aber nicht so ist und Politiker nach dem Motto leben: „Was geb ich auf mein dummes Geschwätz von vorgestern“ steigt er Weihnachten beim Reden an sein Volk wieder aufs hohe moralische Ross, und man wird dabei die lahmenden Hufen klappern hören.
Ach, die Weihnachts- und Neujahrsansprachen! Der Präsident redet zu Weihnachten, der Kanzler zu Silvester. Einmal wurde eine von Helmut Kohl aus Versehen im nächsten Jahr noch einmal wiederholt. Keiner hat es gemerkt. Sie wirkte taufrisch und ehrlich wie am ersten Tag. Mein Vorschlag zur Güte wäre: Weihnachtsansprachen werden wiederholt wie das „Dinner for One“ zu Silvester, Jahr für Jahr. Dann kann Wulff auch beruhigt Präsident bleiben, ohne dass wir beim Anhören seiner Rede physisch darunter leiden. Wir können ja einfach abschalten.
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