Archivbild aus der Müllerstraße in Wedding. Viele Geschäfte stehen leer und werden durch Casinos und An- und Verkaufläden ersetzt. Aber das muss kein Dauerzustand bleiben. - FOTO: KITTY KLEIST-HEINRICH
Unser Gastkommentator Murat Tebatebai wundert sich über die zumeist negativ geführte Gentrifizierungsdebatte in Berlin. Mit internationalem Blick plädiert er unter anderem dafür, den Randbezirken mehr Chancen zu geben.
Es war im August dieses Jahres, als ich mit einem Freund aus London im "Problembezirk" Wedding spazieren ging. Vom Gesundbrunnen schlenderten wir gemächlich Richtung Müllerstrasse. Er fragte mich erstaunt, warum noch niemand auf die Idee gekommen wäre, diese zum Teil sehr schönen Häuserstrukturen zu sanieren. Meine Antwort war schlicht, aber keineswegs despektierlich: Sie sanieren gerade Kreuzberg, Friedrichshain und Neukölln. Wenn sie damit fertig sind, ist der Wedding dran. Die Berliner Innenbezirke, so führte ich weiter aus, seien ein riesiges Filetstück, welche in dreißig Jahren sowohl städtebaulich als auch demographisch nicht mehr wiederzuerkennen sein werden. Zurück zur Gegenwart. Das Gespenst der Gentrifizierung geht in Berlin um. Es handelt sich um die Sanierung des inneren Ringes der Stadt und der daraus resultierenden Konsequenz, dass bezahlbarer Wohnraum immer knapper wird. Die Verdrängung der alteingesessenen Wohnbevölkerung – besonders von sozial Schwachen – ist vorprogrammiert. Mitte der 90er Jahre hatten Mieter im Prenzlauer Berg am Anfang des Sanierungsbooms viele Privilegien auf ihrer Seite. Sie erhielten während der Sanierung eine Ersatzwohnung und durften in ihre alte Wohnung zurückziehen. Merkwürdig, dass nur wenige Bewohner des Stadtteils ihr Recht in Anspruch nahmen. Die meisten blieben in ihrer Ersatzwohnung oder zogen nach Kreuzberg oder Neukölln um. Sie gehörten damit zur Speerspitze der "Neo-Gentrifizierung". Wären damals nicht so viele Studenten mit dem kompletten Entertainmenttross (Bars, Kneipen, Clubs) dorthin gezogen, hätte sich der Wohnungshype zumindest verzögert. Die Opfer der Verdrängung wurden nicht nur selbst zu Tätern, sondern brachten die Bauunternehmen auf den Geschmack, in den alten und neuen Szenebezirken zu investieren. Mit gegenwärtig identischen Ergebnissen wie im Prenzlauer Berg vor fünfzehn Jahren.
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