Peter Löscher lobt das Krisenmanagement der Politik und der Europäischen Zentralbank. Foto: Siemens - FOTO: SIEMENS AG
Herr Löscher, das neue Jahr wird ziemlich düster, sagt der Internationale Währungsfonds. Was sagen Sie?
Es gibt deutliche Mahnungen vor einer neuen Bankenkrise, etwa von Christine Lagarde oder auch von Mario Draghi. Das muss man ernst nehmen. Allerdings ist die Realwirtschaft heute noch in einem wesentlich robusteren Zustand.
Aber Sie sagen: noch.
Ich sage ganz bewusst noch. Denn es gibt keine Parallelwelten. Finanzsektor und Realwirtschaft stehen in engem Zusammenha
Eine deutliche Abkühlung der Konjunktur ist spürbar. Wir sind in einer Phase, in der die allgemeinen Konjunkturerwartungen nach unten korrigiert werden.
Ist die Abkühlung schon in Ihrem Auftragsbestand spürbar?
Ich habe von der makroökonomischen Lage gesprochen. Siemens hat einen Rekordauftragsbestand von 96 Milliarden Euro. Wir sind gut aufgestellt in den Schwellenländern, wo große Teile des Wachstums herkommen: Und wir haben eine gute Mischung zwischen kurz- und langzyklischen Geschäften.
Siemens kann sich also entkoppeln?
Nein, niemand kann sich entkoppeln. Ich sage nur: Die Realwirtschaft steht robuster da, als die Schlagzeilen aus der Finanzwelt es glauben machen. Oberstes Gebot ist jetzt, dass die Vertrauenskrise gelöst wird und die Euro-Staaten ihre Beschlüsse zügig umsetzen. Eine Gefahr besteht offenkundig, nämlich eine Kreditklemme. Allerdings hat die Europäische Zentralbank gerade erneut gezeigt, dass sie diesbezüglich sehr aufmerksam ist und auch handlungsbereit.
Aber für Siemens ist das wohl kaum ein Thema.
Direkt wären wir von einer Kreditklemme wesentlich weniger betroffen, das stimmt. Wir haben eine Banklizenz und können unseren Kunden zum Beispiel bei Infrastrukturprojekten auch eine Finanzierung anbieten. Trotzdem: Eine Kreditklemme wäre fatal, auch für unser Geschäft und unsere Kunden – vor allem für kleinere Unternehmen, ob nun im deutschen Mittelstand oder auch im Ausland.
Infrastrukturprojekte haben oft staatliche Auftraggeber, und die versuchen gerade zu sparen. Wie bedrohlich ist das für Sie?
Staaten stellen zwar nur den kleineren Teil unserer Auftraggeber. Richtig ist aber, dass der öffentliche Sektor und manche Unternehmen im Staatsbesitz derzeit eher gebremst unterwegs sind. Im Süden Europas und auch in anderen Regionen spüren wir Zurückhaltung, aber in den meisten Schwellenländern geht es weiter voran. Russland zum Beispiel plant einen deutlichen Ausbau des Eisenbahnnetzes: 15 000 Kilometer in zehn Jahren. Der große Vorteil von Siemens ist: Wir sind in 190 Ländern der Welt zu Hause und damit auch überall dort, wo es Wachstum gibt.
Sie haben die Euro-Krise erwähnt. Wie gut ist das Krisenmanagement der Politik?
Zunächst einmal möchte ich betonen, welch wichtige und richtige Rolle die deutsche Bundeskanzlerin spielt. Deutschland und Frankreich haben gemeinsam wesentliche Anstöße gegeben. Aber die Schuldenkrise ist nicht erst gestern aufgekommen und wird nicht morgen gelöst sein, sondern sie hat sich über längere Zeit aufgebaut und bedarf nachhaltiger Lösungen. Es geht auch gar nicht um den Euro allein. Die OECD-Staaten haben ihren Schuldenstand in der vergangenen Dekade verdoppelt. Da gibt es nicht den Stein des Weisen, mit dem Sie alles in den Griff kriegen. Ich glaube nicht an eine Bazooka, sondern an die Abfolge vieler Schritte und hoffe auf die zügige Umsetzung dessen, was zuletzt beschlossen worden ist.
Ist nicht die EU einfach ein zu kompliziertes Gebilde, um Vertrauen zu stiften?
Alle sind gut beraten, absolute Aussagen zu meiden. Europa hat nicht nur Frieden geschaffen, Europa ist auch ein Wohlstandsmotor. Seit der Euro besteht, sind Millionen neuer Arbeitsplätze entstanden – in Deutschland und auch anderswo in Europa!
Aber der Wohlstand wird auf Pump geschaffen.
Wir erleben in Europa eine Strukturkrise, aber vor allem eine vorübergehende Vertrauenskrise. Gehen Sie in die Geschichte zurück – was hat dieser Kontinent nicht schon alles gemeistert! Wir sollten Europa nicht abschreiben
Führt diese Krise aus Ihrer Sicht am Ende zu mehr Europa oder weniger Europa?
Ganz klar: Die Krise führt zu mehr Europa! Stärkere Integration wird kommen, Europa hat nur einen Zwischenstand erreicht. Es hat viele stürmische Zeiten gegeben, aber die haben stets zu einer konsequenten Ausrichtung auf mehr europäische Integration geführt. Das wird auch diesmal so sein.
Besteht in dem, was Sie als Vertreter einer Elite sagen, nicht eine enorme Diskrepanz zu dem, was die Menschen auf der Straße empfinden?
Europa muss der jungen Generation neu vermittelt werden. Viele junge Leute setzen Dinge als selbstverständlich voraus, die echte Errungenschaften sind. Als Österreicher habe ich früher eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland beantragen müssen, und es war damals keineswegs selbstverständlich, dass sie mir gewährt wurde. Das ist heute kaum mehr vorstellbar. Meine Generation kennt keine Kriege mehr, wir sind mit der europäischen Idee groß geworden. Ich bin 1957 geboren worden, da gab es schon die Montanunion als Vorläufer der EU. Aber heute müssen wir neu ansetzen. Junge Menschen müssen die Vorteile Europas begreifen. Wir müssen zum Beispiel die Jugendarbeitslosigkeit herunterbringen. Man kann Europa der Jugend in Spanien nicht vermitteln, wenn 45 Prozent der Jugendlichen arbeitslos sind.
Bei einem Abschwung und sinkenden Staatshaushalten wird das aber schwierig.
Um Vertrauen zu gewinnen, müssen nicht nur die Budgets in Ordnung gebracht werden, sondern muss vor allem die Wettbewerbsfähigkeit wieder steigen. Die EU-Kommission liefert mit der „Strategie 2020“ wichtige Impulse dafür. Auch EU-Kommissar Günther Oettinger setzt bei seiner „Energie Roadmap“ auf eine umfassende Weiterentwicklung der Infrastruktur im europäischen Rahmen…
… vor allem auf 40 Atomkraftwerke, die Sie ja nicht mehr bauen wollen.
Das ist ein anderes Thema, zu dem wir alles Erforderliche gesagt haben. Mir geht es um die Frage, wie wir Europa zukunftsfest machen. Wir müssen Europas Rolle in der Welt stärken und zum Beispiel Handelshemmnisse abbauen…
… Sie plädieren jetzt aber nicht für die Doha-Runde, oder? Zehn Jahre wurde verhandelt, aber ein Welthandelsabkommen gibt es bis heute nicht.
Es gibt zweitbeste Lösungen, wie bilaterale Handelsabkommen. Nach dem Beitritt Russlands in die Welthandelsorganisation muss es etwa um eine Vertiefung der Partnerschaft mit Russland gehen.
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