Friday, December 23, 2011

Experte: Baum-Verpflanzung biologisch völlig unsinnig

Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler hat verfügt, dass die mächtigen alten Bäume im Schlossgarten nicht fallen, sondern verpflanzt werden. Bald ist es so weit. Der Freiburger Forstbotaniker Siegfried Fink hält das für Unsinn. Ein Interview
„Mein Freund der Baum ist tot“: Parkschützer in Stuttgart Foto: AFP

BZ: Herr Professor Fink, freut jemanden, der sich beruflich-wissenschaftlich mit dem Forst beschäftigt, diese allgemeine Aufwallung um ein paar alte Bäume?
Fink: Grundsätzlich freut es uns, wenn Bürger sich für alte Bäume einsetzen.

BZ: Aber?
Fink: Offen gestanden freut uns nicht, dass man solche alten Bäume verpflanzen will. Alte Bäume verpflanzt man nicht, sagt schon das Sprichwort. Sicher kann man das heute – technisch. Ob es biologisch Sinn macht, ist eine andere Frage.

BZ: Wäre es tatsächlich machbar, solche mächtigen, meterdicken alten Platanen und Kastanien noch zu verpflanzen?
Fink: Großbaumverpflanzung hat durchaus eine gewisse Routine. Gemeint sind damit aber meist Bäume bis zu 40 Jahren, die aus Baumschulen stammen. Dort werden immer wieder ihre Wurzeln beschnitten, damit man einen kompakten Wurzelballen bekommt. Bei älteren Bäumen, die nicht aus Baumschulen stammen, muss man zwangsläufig einen Großteil der Wurzeln kappen, denn die Rundspatenbagger haben maximal einen Durchmesser von drei Metern. Platanen haben aber ein weitreichendes Wurzelsystem. Da kappt man dann 80 Prozent.

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BZ: Mit welchen Folgen?
Fink: Dass Sie auch 80 Prozent der Krone kappen müssen, damit das Verhältnis Wurzel–Krone gleich bleibt und der Baum nicht "verdurstet". Die Idee, dass man den Baum, so wie er ist, verpflanzen könnte, ist abwegig. Dazu muss man die Bäume bis auf dicke Armstummel zurücksägen. Mit den Bäumen, wie sie jetzt dastehen, hat das nicht mehr viel zu tun.

BZ: Erholen die sich nicht?
Fink: Doch, die werden auch wieder grün und treiben aus. Sie haben aber massive Schnittflächen, an Wurzel wie Krone. Das ist eine Garantie für Folgeschäden und sieht schlimm aus.

BZ: Wie große Klobürsten?
Fink: So etwa. Vor allem gehen Pilze hinein. Nach drei, vier Jahren sehen die Bäume wieder ganz manierlich aus, aber nach 20 Jahren, prophezeie ich, müssen sie wegen Pilzbefalls gefällt werden.

BZ: Hat der Baum eine Restchance, nach Jahren wieder so auszusehen wie jetzt?
Fink: Überhaupt nicht.

BZ: Kann man den Pilz nicht fernhalten?
Fink: Es gibt zwar Wundermittel für die Schnittstellen. Aber die sind eher schädlich, weil sich darunter Feuchtigkeit sammelt und das den Pilz eher fördert.

BZ: Was sollte man also tun?
Fink: Junge gesunde Bäume pflanzen! So wie es die Urgroßeltern mit diesen Bäumen gemacht haben, die da so groß und scheinbar ewig dastehen. Wer junge Bäume pflanzt, legt das Geld besser an und tut etwas für die Enkel. Alte Bäume soll man schon erhalten, aber bitte an ihrem Standort. Sie um jeden Preis zu verpflanzen, ist im Prinzip ein Verbrechen.

BZ: Was haben Sie und Ihre Kollegen gedacht, als Sie von diesem Plan zum ersten Mal gehört haben?
Fink: Dass er politisch verständlich ist, biologisch aber völlig unsinnig.

BZ: Glauben Sie, dass er dennoch umgesetzt wird?
Fink: Ich fürchte ja, weil leider die Politik oft über die Vernunft siegt.

BZ: Haben Sie kein Verständnis für ein romantisches Verhältnis zum Baum?
Fink: Ich sagte ja, wir schätzen die Wertschätzung alter Bäume, aber auch die muss Grenzen haben. Man tut keinem alten Baum etwas Gutes, wenn man ihn so brutal verpflanzt.

BZ: Können die alten Platanen nicht Denkmalschutz beanspruchen, waren die nicht schon immer da?
Fink: Irrtum. Die Platane ist ein exotischer Baum, sie ist hier nicht heimisch, sondern kommt aus Nordamerika.

BZ: Aha, Neophyten!
Fink: Wenn Sie so wollen.

BZ: Und die Kastanien?
Fink: Kommen vom Balkan.

BZ: Vielleicht geht es gar nicht um den Baum an sich, sondern er ist ein Symbol.
Fink: Ja, ein Symbol für all das Vertraute, das man kennt und von dem man möglichst viel erhalten möchte. Allerdings auch Symbol für einen Mangel an Verständnis – für die nächsten Generationen.

BZ: Was ist mit den Kosten der Aktion?
Fink: Die 200-jährigen Platanen sind gewissermaßen im Rentenalter, da Platanen maximal etwa 300 Jahre leben. Da geht es einfach auch um Mitteleffizienz. Es sind 100 000 Euro pro Baum im Gespräch. Wenn man für fünf- bis zehntausend Euro einen schon recht stattlichen 30- bis 40-jährigen Baum pflanzt und das so gesparte Geld in andere Naturschutzprojekte steckt, dann ist das wesentlich besser angelegt.

BZ: Die Versorgung verpflanzter alter Bäume kostet auch nochmal Geld, oder?
Fink: Ja, da muss ständig nach Pilzbefall geschaut werden, man muss die neuen Äste kontrollieren, die nicht so stabil sind. Es gibt zahlreiche Baumpflegefirmen, die sich schon die geschäftstüchtigen Hände reiben. Das ist das Geschäft ihres Lebens, die haben für die nächsten 20 Jahre ausgesorgt mit den Dauerpatienten.

BZ: Könnte man, herzlos gefragt, etwas Schönes mit dem alten Holz anstellen?
Fink: Platanenholz hat eine sehr schöne Zeichnung, ist extrem elastisch und gerade für anspruchsvolle Möbel oder Kunstwerke ist es hervorragend geeignet.

BZ: Und der berühmte Juchtenkäfer, hat der eine forstliche Bedeutung?
Fink: Nein, seine Hauptbedeutung ist, dass er selten vorkommt. Er ist weder ein Schädling, noch ein Nützling.

BZ: In Stuttgart sollen, wenn wir richtig informiert sind, 176 Bäume weichen, dafür sollen 291 neu gepflanzt werden. Ist das ein vernünftiger Ausgleich?
Fink: Die neuen werden, anders als im Wald, fast alle an- und aufwachsen, bei dem Aufwand, den man mit ihnen treibt. Im Moment wird damit vielleicht nicht die Blattmasse der alten ausgeglichen, aber die werden auch älter und in 20 Jahren hat man wieder einen schönen Park.

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