Vor vier Monaten ist der Hof der Familie Waldvogel in Titisee-Neustadt abgebrannt. Da viele Nachbarn ihnen geholfen haben, kann die Familie wieder in die Zukunft blicken.
- Die Familie will trotz des Schicksalschlags zuversichtlich sein.Foto: alexandra wehrle
- Von dem abgebrannten Ökonomiegebäude steht nur noch die BrandruineFoto: annemarie zwickKnapp vier Monate liegt nun der Tag zurück, der das Leben der Familie Waldvogel von einer halben Stunde auf die andere dramatisch veränderte. Den 27. August 2011 werden Hansjörg (48) und Michaela Waldvogel (45) und ihre vier Kinder Melanie (22), Manuel (20), Daniel (18) und Monja (16) wohl nie mehr vergessen. An diesem Samstag brannte ihre Heimat nieder, der Bühlhof in Waldau.Genauer gesagt das Ökonomiegebäude, doch auch der Wohntrakt des früheren Eindachhofs ist wegen des bei den Löscharbeiten entstandenen Wasserschadensnicht mehr bewohnbar. Die BZ wollte wissen, wie die Bauernfamilie diese Ausnahmesituation inzwischen bewältigt und wie sie ihre Zukunft plant.
"Es ist nicht so, wie’s vorher war", sagt Hansjörg Waldvogel leise. Er sitzt an diesem regnerischen Nachmittag in der Küche des Leibgedinghauses seiner 73-jährigen Mutter neben den traurig anzusehenden Bühlhof-Überresten. Zwei Wochen nach dem Brand konnte seine Familie samt den Hunden Max und Kira die zuvor vermietete kleine Wohnung beziehen."Der ganze Alltag ist anders, kein Tag ist zum Planen." Doch der Vollerwerbslandwirt jammert und klagt nicht, er hat die unerwartete Herausforderung in der Lebensmitte angenommen und blickt lieber voraus. Ganz wichtig, das bestätigt auch seine Frau Michaela, ist dabei die Unterstützung, die sie von vielen Waldauern erhalten haben und noch immer erfahren, beim Aufräumen der Brandstelle beispielsweise. "Ohne diese Hilfe hätte man den Mut schon verloren", verrät Hansjörg Waldvogel. Und seine Frau erzählt, dass sie mit diesem Schicksalsschlag und seinen Folgen nicht immer gleich gut zurechtkommt. An manchen Tagen sei sie zuversichtlich, gelegentlich "fragt man sich aber auch ’warum?’". Jetzt in der Adventszeit denkt sie öfters wehmütig daran, wie behaglich es wäre, wenn drüben im neuen Wintergarten des Bühlhofs ein von ihr geschmückter, beleuchteter Weihnachtsbaum stehen würde und eben alles so wäre wie in der Vorweihnachtszeit gewohnt.
Doch die Normalität kam ihrer Familie an jenem August-Samstag ganz abrupt abhanden. Von der Familie war niemand auf dem Hof, als das Unglück gegen 11 Uhr seinen Lauf nahm. Hansjörg Waldvogel war mit den beiden Söhnen etwa eine halbe Stunde früher zur Feldarbeit aufgebrochen. "Vorher haben wir uns noch mit einem Feriengast unterhalten, da hat keiner ’was bemerkt", erinnert er sich. Als Michaela Waldvogel später mit Tochter Melanie heimkam, sahen beide in der Auffahrt über dem am Hang gelegenen Hof Rauch aufsteigen.
Die Bäuerin schickte ihre Tochter sofort zu den Männern aufs zwei Kilometer entfernte Feld, weil’s dort keinen Handyempfang gab. Sie selbst klingelte die sechsköpfige Familie aus Herbolzheim heraus, die noch gemütlich beim Frühstück saß. Die vier Ferienwohnungen waren komplett belegt, doch alle anderen Gäste waren unterwegs.
Die Waldvogel-Männer hatten auf dem Feld die Sirenen der Feuerwehr gehört und sich noch gewundert, dass sie bei diesem vermeintlichen "Probealarm" so lange heulten. Als sie kurz darauf sahen, wie Melanie in ihrem neuen Auto auf dem holprigen Feldweg heranbrauste, "wussten wir alle drei, was los war", sagt der Vater. "Aus dem Hackschnitzelbunker qualmt’s", rief ihnen Melanie entgegen. Als die vier den Hof erreichten, war die Waldauer Feuerwehr schon vor Ort.Der Nachbar rettete mit mutigem Einsatz einem Kalb das Leben
Hansjörg Waldvogel rannte in den Keller, um alle Sicherungen rauszudrehen, Sohn Manuel eilte in den Stall, wo sich fast alle der rund 70 Rinder befanden, die immer erst nachmittags auf die Weide kamen. Aus dem Boxenlaufstall "gingen alle ganz diszipliniert raus, als letztes das Jungvieh", erzählt Manuel Waldvogel. Selbst der Zuchtbulle ließ sich zur Erleichterung des 20-Jährigen anstandslos am Seil rausführen. Und Nachbar Markus Rombach, selbst bei der Waldauer Feuerwehr, rettete bei einem riskanten Einsatz das jüngste Kälbchen, das erst am Vorabend zur Welt gekommen war. "Er hat’s aus der Abkalbebox geholt, als die Decke drüber schon glühte, das hab’ ich mich nicht mehr getraut", lobt Manuel, und die Erleichterung ist ihm immer noch anzuhören. Somit waren alle Tiere gerettet und auch von den Helfern nahm niemand ernstlich Schaden. Allerdings erlitt der Herbolzheimer Familienvater, der auch bei der Feuerwehr ist und zunächst mithalf, ebenso eine leichte Rauchvergiftung wie einige der mehr als 200 Feuerwehrleute, die auch aus Titisee-Neustadt, St. Märgen und Löffingen ausgerückt waren.
Ausgebrochen war der Brand im Hackschnitzelbunker, dem betonierten ehemaligen Grünfuttersilo. Ursache war ein technisches Problem in der Hackschnitzelförderanlage, wie ein Brandsachverständiger später herausfand.Die Feuerwehr erkundigte sich danach, was gerettet werden sollte
Die schockierten Feriengäste wurden vom DRK nach Neustadt gebracht. Das Rote Kreuz versorgte auch Familie Waldvogel zunächst mit Kleidung. "Wir haben gefroren wie die Schlosshunde, wir durften ja nicht mehr ins Haus", erklärt Mutter Michaela. Feuerwehrleute hätten gefragt, was als erstes gerettet werden sollte, etwa Akten aus dem Büro.
"Ich hab’ da kein Zeitgefühl mehr gehabt", sagt die Bühlhofbäuerin. Nachher habe sie gehört, der Ökonomieteil sei "rasend schnell" abgebrannt. Innerhalb von sieben Minuten "brannte es von vorne bis hinten", bestätigt Sohn Manuel – der Stall war 38 Meter lang. Bruder Daniel, der Elektriker lernt, und ein Freund hätten noch den Ladewagen e aus dem Stall gerettet. Feuerwehrleute halfen das Jungvieh zusammenzutreiben, die Kühe wurden auf die Weide beim Haus gebracht.
Während des Brandes hatte es an dem kühlen Hochsommertag zu regnen begonnen. Auf dem benachbarten Behashof, wo sich alle sammelten, war der Kachelofen geheizt worden. Schnell musste geklärt werden, was mit dem Vieh werden sollte. Fünf ältere Kühe kamen gleich zum Schlachter. Fernhofbauer Siegfried Harder, ein guter Freund von Hansjörg Waldvogel, bot innerhalb von fünf Minuten an, die verbleibenden 45 Milchkühe aufzunehmen. "Die haben wir mit Bauern aus Waldau hochgejagt", erzählt Manuel. Das Jungvieh bis zu einem Jahr kam zur Familie Faller auf den Fallerhof in Langenordnach, die meisten sind noch dort untergebracht. Dagegen zogen die Milchkühe am 15. Oktober um auf den Behashof der Familie Richard Wehrle. Hansjörg Waldvogel weiß, was seine Familie den Freunden Sigi Harder und Richard Wehrle zu verdanken hat: "Ohne die zwei wäre es gar nicht machbar gewesen, die Kühe zu halten." Die ebenfalls stark beanspruchten Familien der beiden schließt er in seinen Dank ausdrücklich ein. Fast sieben Wochen konnten die Waldvogels ihre Kühe auf dem Fernhof melken. Das erforderte "einen Riesenaufwand, man hat ja alles trennen müssen", vom Futter bis zur Milch. Denn der Fernhof ist ein Biobetrieb, der Bühlhof nicht.In einem Jahr soll der Hof wieder stehen wie vor dem Brand
"Ich bin mir bewusst, dass ich das in meinem Leben nicht mehr gutmachen kann", sagt Hansjörg Waldvogel über die vielfältige Hilfe einschließlich der "mehr als willkommenen" Holzspenden von Berufskollegen aus mehreren Gemeinden, von Kirche und Stadt für den Wiederaufbau. "Glücklicherweise ist niemand zu Schaden gekommen", betont der Bühlhofbauer und sagt, "da bricht ein bisschen ein Lebenswerk zusammen" innerhalb von zwei Stunden, bis der Brand gelöscht war. Seit der Heirat im Jahr 1990 habe man praktisch "jedes Jahr gebaut". So wurde 1992 der Stall erheblich vergrößert und umgebaut zu Boxenlaufstall und Fressliegebuchten. In den vergangenen fünf Jahren renovierten Waldvogels zudem alle Ferienwohnungen, was dreien davon vier Sterne bescherte.
"Man wird den Betrieb zukunftsorientiert wieder aufbauen", sagen Hansjörg und Manuel Waldvogel übereinstimmend. Der ältere Sohn will den Hof einmal übernehmen. Diese Entscheidung reifte während seiner Lehre zum Groß- und Außenhandelskaufmann bei der ZG Raiffeisen in Neustadt. Am 1. September sollte er in Überlingen seine Ausbildung zum Landwirt beginnen. Fünf Tage vorher brannte der Bühlhof, damit war dieser Plan hinfällig. Noch während es brannte, sagte Manuel seinem Vater, er werde sein erstes Lehrjahr daheim absolvieren, schließlich darf der Landwirtschaftsmeister ausbilden. Seine Frau und er hätten die ganzen jetzt zusätzlich anfallenden Aufgaben "unmöglich" allein bewältigen können, stellt Hansjörg Waldvogel klar. Das Wohnhaus muss abgerissen werden, schon eine Woche nach dem Brand habe man in den durchnässten Räumen Schimmel gesehen und gerochen. "Hab und Gut", so Michaela Waldvogel, wurde in der Spielscheune neben dem Hof untergestellt. Das Wohnhaus mit Garagen soll auf den Grundmauern ähnlich wie der alte Bühlhof wieder aufgebaut werden, geplant sind auch vier Ferienwohnungen wie zuvor. Der neue Stall soll auf der Ebene unten am Hof extra errichtet werden. Für die gleiche Anzahl Vieh wie bisher müsste er größer werden, weil sich die Anforderungen an die Viehhaltung geändert haben. Wenn der Plan genehmigt ist, soll im Frühjahr mit dem Aufbau begonnen werden. "In einem Jahr sollte alles fertig sein", hofft die Familie.Die Stammgäste der Ferienwohnungen haben ihr Kommen zugesagt
Etliche Stammgäste, die "auch alle geschockt" waren über die Nachricht vom Brand, freuen sich schon wieder auf Urlaub auf dem Bühlhof. "Sie kommen alle ganz sicher wieder", hätten sie angekündigt und nach dem Unglück teils Hilfe angeboten. Die momentane Ruhe findet Michaela Waldvogel "sehr ungewohnt, weil immer ’was los war bei uns". Bereits am Tag nach dem Brand hatte sie mit Tochter Melanie die Feriengäste benachrichtigt, die bis Herbst gebucht hatten. "Am Dienstag wäre Wechsel gewesen."
Geradezu spürbar ist in der kleinen Küche die Harmonie in der Familie. Zumindest der dicke, zwölf Jahre alte Hund Max, der auf seiner Decke am Boden vernehmlich schnarcht, scheint in der neuen Herberge auf Zeit nichts zu vermissen. "Der Familienzusammenhalt war immer gut", sagt Manuel, "und jetzt ist er noch enger geworden". Das erkenne man auch daran, dass die drei jüngeren Kinder, die noch bei den Eltern wohnen, sich wegen der Platzknappheit ein Zimmer teilen – "und zwar ohne Streit", wie ihre Mutter lächelnd versichert.
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