Sunday, January 8, 2012

"Es ist Wulff selbst, der die Maßstäbe so hoch gesetzt hat"


SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier (SPD). Foto: Thilo Rückeis
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier (SPD). - FOTO: THILO RÜCKEIS
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sprach mit dem Tagesspiegel über den Umgang des Bundespräsidenten mit den Verfehlungen anderer, die Folgen der Kreditaffäre für das Ansehen der Politik und die nächste Kanzlerkandidatur.



Herr Steinmeier, sind Sie in gewisser Weise das Gegenmodell zum Politikertypus Christian Wulff?
Sie sehen sicher einen Anlass für diese Frage, aber offengestanden: Der erschließt sich mir nicht sofort!
Soweit bekannt ist, haben Sie kein Privathaus von einem väterlichen Freund finanzieren lassen oder zu Sonderkonditionen finanziert, verbringen Ihren Urlaub nicht in Immobilien von befreundeten Millionären und drohen keinen Journalisten. Oder irren wir uns da?

Sind Sie auf der Suche nach Heiligen oder einem politischen Menschen? Ich bin 20 Jahre in der Politik, da gab es sicher auch Irrtümer und Fehler, deshalb: Ich erhebe mich über niemanden! Allerdings: Was mein Häuschen angeht, da habe ich mich oft genug über hohe Hypothekenzinsen geärgert.
Und im Urlaub laufe ich Berge hoch, auf denen ich noch nicht war, ganz unspektakulär, höchstens anstrengend.
Werden wir grundsätzlich. Was ist so schlimm daran, wenn ein Politiker sich von einem Freund Geld leiht, um ein Haus zu kaufen?
Es gibt eine alte politische Erfahrung: Die Ursache von politischen Schwierigkeiten ist oft nicht ein Fehlverhalten, sondern der spätere öffentliche Umgang damit. Christian Wulff war außerordentlich schlecht beraten, eine solche Geheimniskrämerei um seinen Privatkredit zu veranstalten. Das gilt vor allem für seine Äußerungen gegenüber dem niedersächsischen Landtag, die jedenfalls nicht die volle Wahrheit waren!
Im Hauskauf und seiner Finanzierung an sich sehen Sie kein Problem?

Ein Privatkredit ist nicht verboten, auch einem Politiker nicht. Dennoch: Als Politiker muss man wissen, dass auch nur der geringste Anschein von Begünstigung vermieden werden muss. Richtig zum Problem wurde das doch deshalb, weil Christian Wulff die Tatsache vernebelte, dass das Geld von den Eheleuten Geerkens kam. Und ja bis heute daran festhält, dass Frau Geerkens die Kreditgeberin ist und der Ehemann damit nichts zu tun hat.
Was schließen Sie daraus, dass Wulff vernebeln wollte?

Mindestens schlechtes Gewissen wird man ja vermuten müssen. Ob es dafür Anlass gab, wird im niedersächsischen Landtag noch zu klären sein.
Sie selbst wurden 2006 im BND-Untersuchungsausschuss massiv attackiert. Haben Sie Verständnis dafür, dass einem Politiker die Nerven durchgehen und er einem Chefredakteur droht?

Ich habe mich damals massiv geärgert über manche ungerechtfertigten Unterstellungen in der Presse. Ich schließe auch nicht aus, dass mein Arbeitsumfeld und meine Familie in der Zeit unter meiner mitunter schlechten Laune gelitten haben. Ich bin aber nie auf die Idee gekommen, deshalb einen Chefredakteur anzurufen, geschweige denn, ihm auf die Mailbox zu sprechen. Es ist doch eine irrwitzige Vorstellung, dass sich gestandene Chefredakteure von Politikern davon abhalten lassen, eine fertig recherchierte Geschichte abzudrucken.
Im Fernsehinterview hat der Bundespräsident am Mittwoch gesagt, der Anruf bei der „Bild“-Zeitung sei ein Fehler gewesen. Hat er sich damit nun nicht gerettet?

Er hat sich entschieden, im Amt zu bleiben, aber damit ist die Sache noch nicht ausgestanden. Das Problem ist doch, dass mit jeder Äußerung von Herrn Wulff neue Fragen aufgeworfen werden. Man hat das Gefühl, es hört niemals auf. Erst jeden Tag neue Nachrichten über die Kreditgeber, die Kreditkonditionen, die Urlaube und nun diese peinliche Mailboxaffäre. Ich sehe das Ende der Geschichte noch nicht …
Ist die Krise des Präsidenten auch eine Krise jener politischen Kräfte, die ihn gewählt haben?

Die Causa Wulff ist längst zu einer Causa Merkel geworden. Sie war es, die den Kandidaten der schwarz-gelben Koalition, Christian Wulff, gegen den überparteilichen Kandidaten Joachim Gauck durchgesetzt hat. Sie kann nun nicht so tun, als hätte sie mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun und als säße der Bundespräsident auf einem anderen politischen Stern. Sie ist jetzt gefragt.


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