Die Spitzen des Reiches. Kaiser Wilhelm II. im Oktober 1888 zu Besuch bei Otto von Bismarck auf Schloss Friedrichsruh. - FOTO: PICTURE-ALLIANCE / DPA
Im Jahr 1889 neigte sich Bismarcks Herrschaft, die er seit 1862 über Preußen und seit dem 18. Januar 1871 über das von ihm auf „Blut und Eisen“ gegründete Deutsche Reich ausgeübt hatte, dem Ende entgegen. Otto von Bismarck konnte es ahnen. Er diente nun dem dritten Kaiser nacheinander, nachdem Wilhelm II. im Jahr zuvor, nach den 99 Tagen seines Vaters Friedrich III., als 30-jähriger Enkel des alten Wilhelm das Zepter in die Hand genommen hatte.
1889 war ein eher durchschnittliches Jahr, jedenfalls nach den Maßstäben Bismarcks, der stets mit einer Fülle von Problemen zu hantieren verstand. Ende Januar erklärte Bismarck im Reichstag: „Ich betrachte England als den alten und traditionellen Bundesgenossen, mit dem wir keine Streitigkeiten haben“, und er „wünsche die Fühlung, die wir seit nun doch mindestens 150 Jahren mit England gehabt haben, festzuhalten, auch in den kolonialen Fragen“.
Letzteres war das herausragende Problem dieses und der folgenden Jahre: der Kolonialismus. Ein gutes Jahrzehnt zuvor, bei der Berliner Afrika-Konferenz von 1878, hatte Bismarck noch als der „ehrliche Makler“ auftreten können, der ein Reich ohne größeren kolonialen Besitz vertrat und den uralten Zwist zwischen Großbritannien und Frankreich ausbalancierte. Mittlerweile aber waren die Nationalliberalen, auf die sich Bismarck innenpolitisch stützte, auf Kolonialerwerb aus und beförderten eine Politik, die sich als verheerend für die Stellung des Deutschen Reiches auswirken sollte. Eines Landes, von dem Bismarck im Unterschied zu seinen Nachfolgern wusste, dass es das „Reich in der Mitte Europas“ war, bedroht von und angewiesen auf die anderen europäischen Mächte, Frankreich im Westen, Russland im Osten und Großbritannien auf den Meeren.
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