Saturday, January 14, 2012

Absturz ganz unten


Das ausgebreitete Elend. Ein alter Mann bereitet sein Lager auf der Straße. Die Krise ließ die Zahl der Obdachlosen in Athen auf 10 000 schnellen, doch die Notunterkünfte haben nur Platz für 500. Foto: dpa 
Das ausgebreitete Elend. Ein alter Mann bereitet sein Lager auf der Straße. Die Krise ließ die Zahl der Obdachlosen in Athen auf 10 000 schnellen, doch die Notunterkünfte haben nur... - FOTO: DPA
2010 hätten sie noch Nahrungsmittel nach Uganda geschickt, sagt der Chef einer Hilfsorganisation in Athen. "Jetzt brauchen wir die Hilfsgüter dringend hier." Hier – in Griechenland.





Hierher kommt niemand freiwillig. Polizisten ziehen schusssichere Wesen an, wenn sie in dieser Gegend auf Streife gehen. Die einzigen Geschäfte, die hier noch laufen, sind Drogenhandel und Prostitution. Fast jedes zweite Geschäft ist geschlossen. Graffiti überziehen die heruntergelassenen Blechrollläden. Überall liegt Müll. Die meisten Hotels haben aufgegeben. Die wenigen Menschen, die überhaupt unterwegs sind, sind Asiaten oder Afrikaner, Flüchtlinge, die sich von Europa etwas erhofft hatten – und in einem Land in Agonie gelandet sind.
Der Absturz Griechenlands: Am Athener Omoniaplatz zeigt er sich wie unter einem Vergrößerungsglas
Hier schlug noch vor einem Jahrzehnt das Herz der Millionenstadt, hier war was los, hier war Leben und Amüsement. Aber das ist lange her.
Ein junger bärtiger Mann kommt die Piräus-Straße hinunter. Scheu sieht er sich um, bevor er am Haus Nummer 35 auf die Klingel drückt. Niemand soll sehen, wie er durch die blaue Holztür geht. Denn in dem zweistöckigen Gebäude befindet sich Athens größte Armenküche. Heute gibt es Fassolada, eine Bohnensuppe, dazu ein Stück Weißbrot und einen kleinen Plastikbecher Ryzogalo zum Nachtisch, Milchreis.
Mehrere Tausend Menschen werden hier jeden Tag verköstigt. Menschen, die nicht einmal mehr genug Geld für eine Mahlzeit haben. Menschen wie der junge Mann, „Giannis“ nennt er sich, er ist 29 Jahre alt. Manche sagen, das sei das beste Alter. Zögernd, den Blick auf den Boden gerichtet, erzählt Giannis seine Geschichte: Vor 18 Monaten hat er seinen Job als Kellner in einem Hotel verloren. Ein halbes Jahr lang bekam er Arbeitslosengeld. Als damit Schluss war, musste Giannis seine Wohnung aufgeben. Er kam bei einer befreundeten Familie unter. Aber das gehe natürlich nicht ewig. „Sie wissen nicht, dass ich arbeitslos bin“, sagt der junge Mann. Anfangs hat er nach einem Job gesucht. Aber das ist fast aussichtslos.
„Mehr noch als die erfolglose Suche zermürben einen die Hoffnungslosigkeit und die Scham“, sagt Giannis. Jeden Morgen verlässt er das Haus, angeblich um zur Arbeit zu gehen, läuft ziellos durch die Straßen, wartet darauf, dass es zwölf wird. Dann öffnet die Suppenküche. Die bescheidenen Ersparnisse, von denen Giannis anfangs lebte, sind aufgebraucht. „Ich weiß nicht, was aus mir werden soll“, sagt er.
In Griechenland gehen jeden Monat rund 20 000 Arbeitsplätze verloren. Monat für Monat stieg die Arbeitslosenquote zuletzt um knapp einen Prozentpunkt an, im September lag sie bei 17,5 Prozent, im Oktober bei 18,2 Prozent, und nirgends ein Anzeichen dafür, dass sich das ändern sollte. Das Land muss sparen, das verlangen die internationalen Geldgeber – und diese Forderung wird immer wieder erneuert. 73 Milliarden Euro Hilfskredite haben die EU und der Internationale Währungsfonds (IWF) in den vergangenen 18 Monaten nach Griechenland überwiesen. Aber bei Menschen wie Giannis oder den Suppenküchen ist kein einziger Cent davon angekommen. Im Gegenteil: Unter dem Spardiktat muss die griechische Regierung ihr ohnehin nur lose geknüpftes soziales Netz immer weiter ausdünnen. Und so sind die Leidtragenden der Krise diejenigen ohne Lobby, die kleinen Leute – mit dramatischen Konsequenzen für den Einzelnen









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