Feierstimmung in Mariendorf: Die Fichte für den Breitscheidplatz ist gefällt. Zwölf Männer und acht Liter Glühwein – ein Ortstermin.
Nein, nein, dass der Baum endlich weg ist, sei eine prima Sache, sagt die Nachbarin, als alles vorbei ist und der Weihnachtsbaum auf dem Tieflader liegt. So ein Flachwurzler direkt am Haus sei schließlich nicht ungefährlich, keinen Halt in der Erde, die Wurzeln drücken gegen den Keller, alles nicht so dolle. Wenn dann noch die Sitkalaus den Baum befällt, reicht ein Sturm und das Dach ist kaputt, na schönen Dank.
Mariendorf, Donnerstagmorgen: Reinhold Becker, 65, graue Haare, goldene Brille, Baumspender für den Weihnachtsmarkt: „Das ist keine Tanne, sondern eine Stechfichte, aber schreiben Sie ruhig Tanne“, empfiehlt er. Viel wichtiger ist doch, dass der Baum, der am heutigen Freitag auf dem Breitscheidplatz aufgestellt werden soll, den Menschen Freude macht, wenn der Weihnachtsmarkt am 26. November startet.
Also endlich mal ein richtiger Baum an der Gedächtniskirche und keine Abknicktanne. Auch keine Kunstbäume aus Schrott oder leuchtende Plastikkegel. Mit anderen Worten: ein Baum, wie er selten auf dem Breitscheidplatz zu sehen ist – ein guter Baum. Und die nächste gute Nachricht ist nicht fern: Nadelbäume sind in Berlin nicht geschützt, Herr Becker kann einfach drauflosfällen lassen.
Alles super in Mariendorf also, und wenn es nach Herrn Becker geht, beginnt die Party gleich heute. Acht Liter Glühwein hat er besorgt, für Anwohner und Handwerker, von denen ein gutes Dutzend um den 15 Meter hohen Baum herumsteht, raucht, friert, nichts trinkt.
Jetzt kommt der Kran, zwölf Tonnen pro Achse, macht bei vier Achsen insgesamt 48 Tonnen, sagt der Firmenchef, ein Mann der Zahlen, signalrote Jacke. Mit sieben Mann sei man „angetreten“, entschlossen blickende Arbeiter, die nicht den Eindruck erwecken, als könne irgendwas schiefgehen. „Wir sind schließlich Profis“, sagt einer von ihnen, tritt auf die Straße und beginnt mit wuchtigen Bewegungen, den Verkehr umzulenken. Als die Fotografen kommen, zuppelt der Chef einer Tischlerei das Werbeschild seiner Firma vor deren Objektive. „Das machen wir hier immer so“, sagt er. Aber auch die Arbeitnehmerseite hat medial aufgerüstet: Im Kran-Führerhäuschen weht die rote Fahne der IG Bau, darunter eine Flasche Wasser. Dann kommt Stefan Bork, Baumpfleger seit sechs Jahren, und klettert in die Fichte. „In diesem Moment haben Ihre Männer Hand angelegt an den Baum. Damit ist er in Ihren Besitz übergegangen“, sagt Reinhold Becker, weihevoller Ton, zu Michael Roden. Der ist Chef der Berliner Schausteller, die Kosten für das Baumfällen – geschätzt mehrere hundert Euro – gehen auf seinen Deckel.
Eine Motorsäge wird angesetzt, einmal brumm und aus. „Der Baum ist gefällt“, jubelt ein Radiosprecher in sein Mikrofon, „Jaja“, sagt Michael Roden. Seite 16
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