Sunday, November 25, 2012

Spiel um dein Leben

Ein Gruselkabinett testet 60 Schauspieler für die neue Filiale in Berlin. Dabei entscheidet sich nicht nur, ob jemand das Talent zum  Erschrecker hat

Zum Fürchten ist das erst mal nicht: Ein schlaksiger Kerl zieht ein kleines, silbernes Taschenmesser aus der Hosentasche, klappt den Korkenzieher auf und dreht ihn genüsslich. Dann sagt er: „Man muss wissen, wie man sein Folterinstrument bedient.“ Dabei schaut er das Werkzeug mit aufgerissenen Augen an. „Cool“, unterbricht einer der beiden Männer im Publikum, „kannst du das mit noch ein bisschen mehr Freude am Foltern spielen?“
Der Kerl mit dem Korkenzieher heißt Christopher Walther und spricht gerade den Folterknecht des Berliner Stadtschlosses, „mit manischer Leidenschaft für seine Instrumente“, wie es im Script heißt. Die Männer sind Mitarbeiter der „Berlin Dungeon“-Erlebniswelten, einer Art Grusel-trifft-Geschichte-Museum.
Es gibt Filialen in England, den Niederlanden und bisher einen Dungeon („Verlies, Kerker“) in Hamburg. Im Frühjahr 2013 soll auch Berlin seinen Dungeon bekommen – das zweitägige Casting läuft seit gestern in der Absinthbar des Admiralspalastes.
Gut 300 Bewerber habe es gegeben, sagt Dungeon-Sprecherin Nina Zerbe. 60 davon wurden für die beiden Castingtage ausgewählt, etwa die Hälfte erhält ein Engagement. „Wir suchen dabei bewusst Schauspieler und keine Marktschreier“, sagt Zerbe. Es brauche Leute mit Bühnenerfahrung, die die historischen Personen verkörpern können und die Besucher zum Mitmachen animieren. Denn im Dungeon gehe es nicht um Horror, sondern um eine Mischung aus „Geschichte und Schmunzeln“. Neun Rollen werden ins historische Berlin entführen, darunter ein Opfer des 20er-Jahre-Serienmörders Carl Großmann oder eben der Folterer.
„Die Idee mit dem Korkenzieher kam mir erst beim Aufwachen“, sagt Christopher Walther. Die gewundene Spitze anschauen, das helfe, um „schnell mal manisch zu werden“. Der 25-Jährige wurde an der Schauspielschule Charlottenburg ausgebildet, seitdem ist er auf der Suche nach Rollen. Fürs Casting hatte er sich mit einem normalen Foto und einem Zombiebild beworben. Zum Vorsprechen musste er einen eigenen zweiminütigen Monolog vorbereiten und zusätzlich zwei Rollen lernen, den Folterknecht und einen Nachtwächter, der seinen Ärger mit „so ’nem kleenen Franzosen, Bonaparte heest er“, hat. Für seine Rollenwechsel dreht sich Walther kurz zum Dekofolterstuhl am hinteren Bühnenrand, atmet durch und kommt verwandelt wieder.
„Berlin ist der überfüllte Markt schlechthin“, sagt der Schauspieler, „du kannst hier schnell in der Luft hängen.“ Er selbst habe zuletzt eine Hauptrolle an einem Münchner Theater spielen dürfen, habe aber in der Hauptstadt noch kein Glück gehabt. Derzeit laufen bei ihm mehrere Bewerbungen, „aber wenn ich die Kiste hier kriege, dann kann der Rest einpacken“.
Allen engagierten Darstellern offeriere man eine Festanstellung, sagt Zerbe. Ob sie in den Job Voll- oder Teilzeit einsteigen wollen, bleibe dabei ihnen überlassen. „Wir wissen ja, in welcher Situation die Schauspieler stecken“, sagt sie. Viele seien immer auf der Suche nach Engagements, oft im ständigen Spagat zwischen Bühne und Arbeitsamt. „Es ist üblich, dass wir die Lebenssicherung sind“, sagt Zerbe. So profitieren die Gruselkabinette davon, dass gelernte Schauspieler ihre Räume bevölkern, „die die Leute auch wirklich mitreißen können“. Und die Darsteller können im Austausch an ihren Rollen wachsen, ohne das Theaterleben dabei aus dem Blick zu lassen. Das bleibe ja schließlich die „Königsdisziplin“, sagt auch der Castingteilnehmer Walther. Die Männer vor der Bühne haben ihm nun einen Widerhaken in die Hand gedrückt, ein schweres Eisen. Den Folterknecht bitte, mit mehr „Freude am Foltern“ jetzt. Christopher Walther rammt den Haken in die Luft, in ein imaginäres Opfer hinein und bleckt die Zähne. Die Herren jauchzen zufrieden, Walther darf wiederkommen.
Nicht nur im „Berlin Dungeon“ wird mit den Ängsten der Besucher gespielt. Der Friedrichshainer Club „Salon zur Wilden Renate“ in Alt-Stralau 70, Telefon 25 04-14 26, hat sich selbst ein psychedelisches Labyrinth gebastelt, genannt „Peristal Singum“.  Vorbild ist die Zauberwelt aus „Alice im Wunderland“ – die Besucher dürfen sich in den Krabbelröhren selbst verlieren. Weniger verschroben geht es im Luftschutzbunker am Anhalter Bahnhof in der Schöneberger Straße 23a, Telefon 26 55-55 46, zu. Hier bietet das Berliner Gruselkabinett einen Mix aus Geisterbahn, Bunkermuseum und „Medizinexponaten“ an. Mit tatsächlichen medizinischen Horrorgeschichten, aber auch mit Richtstätten und parapsychologischen Erscheinungen Berlins setzt sich die Gotiktour „Schauer-Grusel-Katakomben“ auseinander. Immer samstags 18 Uhr und sonntags 20 Uhr wird die historische Stadtführung angeboten. Treffpunkt ist an der Marienkirche in der Karl-Liebknecht-Straße 8 in Mitte, Anmeldungen unter www.baerentouren.de oder Telefonnummer 46 06-37 88.

No comments:

Post a Comment