Wednesday, November 28, 2012

Flexity "nicht flexibel genug


Das neue Flaggschiff der Straßenbahn, die "Flexity Berlin", kann bisher nur in eine Richtung fahren. Das Problem soll noch vor dem Fahrplanwechsel behoben sein.

Der alljährliche bundesweite Fahrplanwechsel bei den Verkehrsunternehmen im Dezember gilt seit jeher als kompliziert. In diesem Jahr soll er nach Berichten diverser Fachleute für die BVG sogar besonders schwierig sein – weil sich das neue Flaggschiff der Straßenbahn, die „Flexity Berlin“, als überraschend unflexibel erwiesen habe. Denn die für den Zweirichtungsbetrieb vorgesehenen Exemplare – also mit Führerständen an beiden Enden der Tram – können bisher nur in eine Richtung fahren. Denn offenbar verhindern Elektronikprobleme die korrekte Ansteuerung beispielsweise von Ampeln, wenn der andere Führerstand benutzt wird.
Das Problem betrifft demnach die erst in den vergangenen Wochen ausgelieferten Züge, die vom Fahrplanwechsel an in großem Stil eingesetzt werden sollen.
Solange die neuen Bahnen auf Linien mit Wendeschleifen fahren, ist das kein Problem. Wo allerdings die Trasse hinter der Endhaltestelle einfach mit einer Weiche zum Wechsel des Gleises endet wie bei der M 10 an der Warschauer Brücke und an vielen Baustellen, können diese Straßenbahnen nicht eingesetzt werden. Ob das Problem beim Hersteller Bombardier, dem bayerischen Zulieferer der Elektronik oder bei der BVG selbst liegt, ist unklar. Die BVG hatte vier Vorserienfahrzeuge – zwei davon für den Zweirichtungsbetrieb – 2009 ausgiebig im Alltagsbetrieb getestet und zunächst 99 Bahnen geordert. 55 davon sind Fahrzeuge mit zwei Führerständen – und entsprechend teurer.
Die BVG versichert, dass die Bahnen zum Fahrplanwechsel wie vorgesehen eingesetzt werden können. Das Problem beschränke sich auf Probefahrten beim Hersteller im sächsischen Bautzen. Nach der Auslieferung nach Berlin werde die Technik abgestimmt.

WG International in Bosnien

Berliner Schülerin zog mit 16 nach Bosnien und machte in Mostar am United World College Abitur. Die internationalen Internate legen Wert auf soziales Engagement.

Es muss nicht immer England oder die USA sein. Charlotte Kröger, bis zur zehnten Klasse Schülerin an der Berliner Nelson-Mandela-Schule, zog mit 16 nach Bosnien. Zwei Jahre verbrachte sie in Mostar am United World College, einem Internat, das je zur Hälfte von einheimischen und internationalen Schülern besucht wird, und machte dort ihr internationales Abitur. „Meine Mutter musste ich schon eine Weile davon überzeugen, dass es das Richtige für mich ist“, erzählt Charlotte, die heute achtzehn ist und in Amsterdam studiert.
Die United World Colleges (UWC) sind Schulen, in denen Jugendliche aus aller Welt zusammen leben und lernen.

12 Colleges gibt es weltweit – in so unterschiedlichen Ländern wie Swasiland, Norwegen, Indien oder Hongkong. Im Jahr 2014 soll in Freiburg das erste deutsche UWC eröffnet werden. Das erste College wurde 1962 in Wales gegründet und geht auf Ideen des deutschen Reformpädagogen Kurt Hahn zurück. Das Konzept: Jugendliche sollen nicht nur eine Auslandserfahrung machen und eine internationale Schulausbildung bekommen, sondern sich auch sozial engagieren und zu Toleranz und Verantwortung erzogen werden. An allen Schulen steht Sozialarbeit auf dem Programm. Charlotte Kröger arbeitete regelmäßig in einer Schule für Behinderte. Der Geldbeutel der Eltern soll keine Rolle spielen, ob man am UWC aufgenommen wird. Es gibt bei Bedarf Voll- und Teilstipendien. Erst nach der Auswahl der Schüler wird geschaut, welchen Anteil die Eltern zahlen können. Das Auswahlverfahren hat es allerdings in sich. Auf die schriftliche Bewerbung folge ein Auswahl-Wochenende, mit Prüfungen, Gruppendiskussionen und Tests, erzählt Charlotte.
Während ihrer Zeit in Mostar lernte sie serbisch und kroatisch. Sie teilte sich ihr Zimmer mit einer Kroatin und einer Bosnierin, mit der sie noch immer eng befreundet ist, und erfuhr viel über das vom Bürgerkrieg gezeichnete Land. „Es ist noch immer tief gespalten“, sagt Charlotte. Am meisten habe sie aber über sich selbst und über den Umgang mit anderen gelernt. „Menschen aus anderen Kulturen und anderen Teilen der Welt empfinden vieles ganz anders“. Sie habe beispielsweise einen Mitschüler aus Israel und einen aus Palästina gehabt. Für die beiden sei es zunächst merkwürdig gewesen, zusammen zu wohnen und zur Schule zu gehen. Doch sie seien gute Freunde geworden, hatten sich viel zu erzählen und konnten sich gegenseitig ihre Sicht der Dinge näherbringen. „Es ist wahrscheinlich schon ein bestimmter Menschenschlag, der sich von UWC angezogen fühlt“, meint Charlotte. Man führe dort ständig philosophische Gespräche.
Die Wohnsituation sei anfangs gewöhnungsbedürftig gewesen. Das Zimmer teile man sich mit zwei oder drei Mitbewohnern, Dusche und Küche mit zwanzig anderen. „Das fühlte sich erst mal so ähnlich an wie im Hostel auf Klassenfahrt“. Doch das enge Zusammenleben schweiße zusammen und sei gut gegen Heimweh. „Man ist praktisch nie allein“.
Bewerbungsschluss für den Collegebeginn im Jahr 2013 ist der 15. Dezember – bis dahin müssen die Bewerbungsunterlagen vollständig bei der Deutschen Stiftung UWC eingegangen sein. Informationen unter www.uwc.de.

Steglitzerin erste Wahl für Studenten

Die Berliner Gymnasiallehrerin Katja Nordhaus wird mit dem Deutschen Lehrerpreis ausgezeichnet. An ihrer Steglitzer Schule gründete sie eine Debattier-AG. Ihre Schüler haben sie vorgeschlagen
Sollte man Hausaufgaben abschaffen? Diese und andere Fragen diskutiert Katja Natascha Nordhaus vom Hermann-Ehlers-Gymnasium in Steglitz mit ihren Schülern. Im Jahr 2007 hat Nordhaus an ihrer Schule die erste Debattier-AG ins Leben gerufen, weil einer ihrer Schüler am Wettbewerb „Jugend debattiert“ teilnehmen wollte. Nun hat die Lehrerin für Politik, Geschichte und Englisch als einzige Lehrkraft aus Berlin den diesjährigen Deutschen Lehrerpreis in der Kategorie „Schüler zeichnen aus“ erhalten. Deutschlandweit wurden 16 Lehrer gewürdigt. 2500 Abschlussschüler hatten Lehrer nominiert, durch die sie besonders gefördert wurden. Nur Pädagogen, die mehrere Schüler hinter sich hatten, konnten gewinnen.
 „Sie hat es geschafft, dass ich mich auch privat mit Politik beschäftige“, begründete ein Schüler seine Stimme für die 49-Jährige. Ein anderer habe bei Nordhaus gelernt, frei zu sprechen und so an Selbstvertrauen gewonnen. In der Debattier-AG lernen die Schüler, sich umstrittenen Themen sachlich zu nähern. „Beim Debattieren kommt man sich menschlich näher“, meint Nordhaus. Sich auf strukturierte Weise mit anderen auseinanderzu- setzen, helfe in vielen Berufen und im Schulalltag. Einmal wurde Nordhaus bereits von einem Kollegen auf die Rhetorik ihrer Schüler angesprochen. Ein Schüler hatte eine bessere Note gefordert, mit der Begründung, dass das im Interesse des Lehrers liege. Durch eine bessere Note bekäme der Schüler einen besseren Job und ein besseres Einkommen, wodurch die Rente des Lehrers gesichert sei.
Nordhaus setzt sich dafür ein, auch im regulären Unterricht öfter zu debattieren. Neben Politik und sprachlichen Fächern eignen sich ihrer Meinung nach dafür auch naturwissenschaftliche Themen wie die Gentechnologie. Drei weitere Lehrer der Schule haben mittlerweile eine Fortbildung zu dem Thema besucht.
„Präsentieren wird in allen Fächern wichtiger“, sagt Schulleiterin Gisela Pflug. Das zeige sich etwa an der zusätzlichen Prüfungskomponente Präsentieren bei Mittlerem Schulabschluss und Abitur. Die Debattier-AG werde dadurch für Schüler noch attraktiver.
Als Lehrer bekomme man nicht oft Rückmeldung, dass etwas toll gewesen ist, meint Nordhaus. Manchmal erzählen Eltern, was den Kindern gefallen habe. Manchmal bedanken sich Schüler nach dem Abschluss – denn dann könnten sie nicht mehr des Schleimens bezichtigt werden. Im Alltag zeigen ihr die direkten Reaktionen der Schüler, ob der Unterricht ankommt oder nicht. Wenn sich die Schüler lebhaft beteiligen, sei das eine Bestätigung. Manchen gehe auch merkbar ein Licht auf, dann höre sie mitten im Unterricht ein „Aha!“.

Educational Erwachen Hochzeit

Ein multikulturelles Bürgerbündnis will eine freie Schule gründen, die allen offen steht. Schulgeld soll es nicht geben, dafür mehr Gerechtigkeit und Chancen auch für Schwächere.

Er könne einfach nicht besser sein als seine deutschen Mitschüler. Mit diesen Worten, erinnert sich Suat Özkan, habe ihm seine Lehrerin in der achten Klasse erklärt, weshalb er im Zeugnis eine Zwei bekam, obwohl er eine Eins verdient hatte. Als Sechsjähriger ist Suat Özkan mit seinen Eltern aus der Türkei nach Berlin gekommen. „Die Lehrer haben mir von der Grundschule bis zur Oberschule gesagt: „Das schaffst du nie.“
Heute trägt Suat Özkan Anzug und Krawatte. „Dr. Özkan“, stellt er sich vor. Er hat Jura studiert, ist selbstständig und betreut Investoren. Außerdem sieht er es als seine Aufgabe, mit seinen Mitstreitern dafür zu sorgen, dass alle Schüler die gleichen Chancen bekommen.

Zunächst in Wedding, doch als Vorbild für alle.
Özkan ist Mitglied der Bürgerplattform Wedding/Moabit, in der sich rund 40 Mitgliedsgruppen zusammengeschlossen haben, von Kirchengemeinden und Moscheen über Kulturzentren bis zum SOS-Kinderdorf Moabit. Im kommenden Jahr will die Bürgerplattform eine Oberschule in Wedding gründen: Die Freie Bürgerschule Wedding soll mit zwei siebten Klassen ins Schuljahr 2013/14 starten. Und das völlig ohne Schulgeld, damit alle Kinder Chancen auf einen Platz haben. Spenden und Stiftungen sollen helfen, weitere Finanzierungsmodelle werden entwickelt. In den Klassen sieben bis zehn will man die Schüler auf den reibungslosen Übergang zur weiterführenden Schule oder zur Ausbildung vorbereiten. Am Mittwoch sollen bei einem Aktionstag in Anwesenheit von Bildungsstaatssekretär Mark Rackles (SPD) und Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD) die ersten Weichen gestellt werden.
Die Bürgerplattform kooperiert seit zwei Jahren mit der Ersten Gemeinschaftsschule Berlin Mitte in Moabit. Dort und in der eigenen Freien Bürgerschule wollen die Akteure den Schülern zeigen, dass sie in der Gesellschaft Pflichten und Rechte haben – auch das Recht auf Bildung.
Das Modell der Bürgerplattformen lebt die Theorie vor. Verschiedenste Einrichtungen und Initiativen beteiligen sich gleichberechtigt am Programm. In Wedding und Moabit sind es deutsche, türkische, arabische, asiatische und afrikanische Gruppen. Weil die Mitglieder direkt in die Einrichtungen eingebunden sind, ist die Schwelle in die Bürgerplattform sehr niedrig. Das Modell kam 2002 aus den USA nach Berlin, zunächst nach Schöneweide, 2008 nach Wedding/Moabit und 2012 nach Neukölln.
Mohammad Abdul Razzaque, Vorsitzender der Initiative der Berliner Muslime, ist von Anfang an für die Weddinger Bilal-Moschee dabei gewesen. „In ganz Deutschland wird über Integration gesprochen, wir aber machen Integration“, sagt er. Razzaque engagiert sich für den Programmschwerpunkt Bildung. Viele Bürgerplattformen gründen ihre eigenen Schulen. Das sahen Razzaque und andere ehrenamtliche Mitglieder bei Besuchen in London, New York und Chicago.
Bei der Schulgründung wird die Bürgerplattform von mehreren Partnern beratend unterstützt, wie etwa dem Deutschen Institut für Community Organizing der Katholischen Hochschule für Sozialwesen und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband. Suat Özkan ist überzeugt: „Wir werden eine Leuchtturmschule gründen.“
Ob die Eröffnung tatsächlich zum kommenden Schuljahr gelingt, ist unklar. Wegen der Schulträgerschaft beraten sich die Mitglieder der Bürgerplattform momentan über die möglichen Modelle einer Körperschaft. Auch die Finanzierung steht noch nicht fest. Zur Veranstaltung am Mittwoch sind auch Stiftungen eingeladen. Wirtschaftspartner sind ebenfalls potenzielle Geldgeber. Mitglieder der Bürgerplattform können als Mentoren einzelner Schüler wirken und Zukunftsperspektiven aufzeigen, so die Pläne der Initiatoren. „Wir wollen die Jugendlichen vom Hartz-IV-Gedanken wegbringen“, sagt Razzaque.

Dabei orientiert man sich auch an den gemeinsam umgesetzten Projekten in der Ersten Gemeinschaftsschule Berlin Mitte. Katja Rehnitz, kommissarische Schulleiterin, sagt: „Wir nehmen alle Kinder auf und versuchen, das Beste aus ihnen herauszuholen.“ Dazu werden sie besonders im Mathe- und im Deutschunterricht gefördert. Die Fortschritte der Schüler werden genau dokumentiert und wöchentlich den Eltern gezeigt. Zudem wurde die Anzahl der Betriebspraktika erhöht. Es gibt Kooperationen mit Partnereinrichtungen wie etwa der Breuninger-Stiftung zur Förderung lernschwacher Kinder und der Charité für Berufsorientierung und Praktika.
In Mohammad Abdul Razzaques Moschee gibt es bereits viele Interessenten. Suat Özkan sagt: „Wir haben viele Multiplikatoren durch die Einrichtungen, da wird Vertrauen geschaffen.“ Noch ist die Schulanmeldung nicht bei der Senatsverwaltung eingereicht. Derzeit wird am Konzept gefeilt und man ist mit dem Bezirk im Gespräch über ein Schulgebäude. Fest steht: In Wedding soll es losgehen.


Sunday, November 25, 2012

Helle Lichter und die All-China

An diesem Montag beginnt die Saison der Weihnachtsmärkte. Insgesamt 60 Märkte hat die Tourismus-Marketinggesellschaft Visit Berlin gezählt
Schneefall an diesem Montag – das wäre sicher etwas viel verlangt. Das schafft der Wettergott ja selbst zu Weihnachten hierzulande nur selten. Aber schön wäre es doch, so ein weißes Geriesel am Abend, wenn die Lichterketten glimmen, die Kinderaugen leuchten, die Lebkuchen duften und die Chinapfanne... na, lassen wir die beiseite, auch wenn sie zu einem hiesigen Weihnachtsmarkt mittlerweile gehört wie das Amen in der Kirche, um das es zu Weihnachten, man vergesse das nicht, ja doch auch gehen sollte.
Aber ob nun mit weißen Flocken oder mit Sonnenschein oder gar Regen – die Saison der Weihnachtsmärkte beginnt in Berlin an diesem Montag, wie gewohnt unmittelbar nach dem Totensonntag.

Noch herrschen hier keine Potsdamer Verhältnisse, wurde die Saison nicht, wie in der Nachbarstadt, um einige Tage vorgezogen. Früher genügte Städten wie Berlin – aber das ist lange her – ein einziger Weihnachtsmarkt. Heute hat man mitunter das Gefühl, dass man für die kommenden Wochen der Einfachheit halber eher die marktfreien Zonen auflisten sollte, so unübersichtlich ist das Angebot. Aber da das so ist, muss es ja auch einen Bedarf in dieser Größenordnung geben.
Insgesamt 60 Märkte hat die Tourismus-Marketinggesellschaft Visit Berlin gezählt, das Angebot reiche von besinnlich und märchenhaft bis trendig und urban. Auf besonders viel Zuspruch dürfen erneut die Märkte an der Gedächtniskirche, am Schloss Charlottenburg (mit Verkaufsstand des Tagesspiegels), in der Altstadt Spandau, am Alexanderplatz, vor dem Roten Rathaus und auf dem Gendarmenmarkt hoffen. Den „Weihnachtszauber“ vor Schinkels altem Schauspielhaus wird an diesem Montag, 18 Uhr, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) eröffnen, gemeinsam mit dem Oberbürgermeister von Zagreb, Milan Bandic. Der zentrale Baum nämlich ist diesmal eine Spende der kroatischen Hauptstadt, stammt zwar aus der Berliner Region, wurde aber geschmückt nach altem kroatischen Brauch. Am Mittwoch, gleiche Uhrzeit, ist Wowereit dann schon wieder vorweihnachtlich gefordert, wird dabei sein, wenn die saisonale Festbeleuchtung auf dem Kurfürstendamm angeknipst wird. Dann fehlt eigentlich nur noch der Schnee. Andreas Conrad
Weitere Infos zu den Weihnachtsmärkten gibt es auf unserer Extraseite an diesem Freitag. Die Liste im Internet: www.berlin.de/orte/weihnachtsmaerkte.

Spiel um dein Leben

Ein Gruselkabinett testet 60 Schauspieler für die neue Filiale in Berlin. Dabei entscheidet sich nicht nur, ob jemand das Talent zum  Erschrecker hat

Zum Fürchten ist das erst mal nicht: Ein schlaksiger Kerl zieht ein kleines, silbernes Taschenmesser aus der Hosentasche, klappt den Korkenzieher auf und dreht ihn genüsslich. Dann sagt er: „Man muss wissen, wie man sein Folterinstrument bedient.“ Dabei schaut er das Werkzeug mit aufgerissenen Augen an. „Cool“, unterbricht einer der beiden Männer im Publikum, „kannst du das mit noch ein bisschen mehr Freude am Foltern spielen?“
Der Kerl mit dem Korkenzieher heißt Christopher Walther und spricht gerade den Folterknecht des Berliner Stadtschlosses, „mit manischer Leidenschaft für seine Instrumente“, wie es im Script heißt. Die Männer sind Mitarbeiter der „Berlin Dungeon“-Erlebniswelten, einer Art Grusel-trifft-Geschichte-Museum.
Es gibt Filialen in England, den Niederlanden und bisher einen Dungeon („Verlies, Kerker“) in Hamburg. Im Frühjahr 2013 soll auch Berlin seinen Dungeon bekommen – das zweitägige Casting läuft seit gestern in der Absinthbar des Admiralspalastes.
Gut 300 Bewerber habe es gegeben, sagt Dungeon-Sprecherin Nina Zerbe. 60 davon wurden für die beiden Castingtage ausgewählt, etwa die Hälfte erhält ein Engagement. „Wir suchen dabei bewusst Schauspieler und keine Marktschreier“, sagt Zerbe. Es brauche Leute mit Bühnenerfahrung, die die historischen Personen verkörpern können und die Besucher zum Mitmachen animieren. Denn im Dungeon gehe es nicht um Horror, sondern um eine Mischung aus „Geschichte und Schmunzeln“. Neun Rollen werden ins historische Berlin entführen, darunter ein Opfer des 20er-Jahre-Serienmörders Carl Großmann oder eben der Folterer.
„Die Idee mit dem Korkenzieher kam mir erst beim Aufwachen“, sagt Christopher Walther. Die gewundene Spitze anschauen, das helfe, um „schnell mal manisch zu werden“. Der 25-Jährige wurde an der Schauspielschule Charlottenburg ausgebildet, seitdem ist er auf der Suche nach Rollen. Fürs Casting hatte er sich mit einem normalen Foto und einem Zombiebild beworben. Zum Vorsprechen musste er einen eigenen zweiminütigen Monolog vorbereiten und zusätzlich zwei Rollen lernen, den Folterknecht und einen Nachtwächter, der seinen Ärger mit „so ’nem kleenen Franzosen, Bonaparte heest er“, hat. Für seine Rollenwechsel dreht sich Walther kurz zum Dekofolterstuhl am hinteren Bühnenrand, atmet durch und kommt verwandelt wieder.
„Berlin ist der überfüllte Markt schlechthin“, sagt der Schauspieler, „du kannst hier schnell in der Luft hängen.“ Er selbst habe zuletzt eine Hauptrolle an einem Münchner Theater spielen dürfen, habe aber in der Hauptstadt noch kein Glück gehabt. Derzeit laufen bei ihm mehrere Bewerbungen, „aber wenn ich die Kiste hier kriege, dann kann der Rest einpacken“.
Allen engagierten Darstellern offeriere man eine Festanstellung, sagt Zerbe. Ob sie in den Job Voll- oder Teilzeit einsteigen wollen, bleibe dabei ihnen überlassen. „Wir wissen ja, in welcher Situation die Schauspieler stecken“, sagt sie. Viele seien immer auf der Suche nach Engagements, oft im ständigen Spagat zwischen Bühne und Arbeitsamt. „Es ist üblich, dass wir die Lebenssicherung sind“, sagt Zerbe. So profitieren die Gruselkabinette davon, dass gelernte Schauspieler ihre Räume bevölkern, „die die Leute auch wirklich mitreißen können“. Und die Darsteller können im Austausch an ihren Rollen wachsen, ohne das Theaterleben dabei aus dem Blick zu lassen. Das bleibe ja schließlich die „Königsdisziplin“, sagt auch der Castingteilnehmer Walther. Die Männer vor der Bühne haben ihm nun einen Widerhaken in die Hand gedrückt, ein schweres Eisen. Den Folterknecht bitte, mit mehr „Freude am Foltern“ jetzt. Christopher Walther rammt den Haken in die Luft, in ein imaginäres Opfer hinein und bleckt die Zähne. Die Herren jauchzen zufrieden, Walther darf wiederkommen.
Nicht nur im „Berlin Dungeon“ wird mit den Ängsten der Besucher gespielt. Der Friedrichshainer Club „Salon zur Wilden Renate“ in Alt-Stralau 70, Telefon 25 04-14 26, hat sich selbst ein psychedelisches Labyrinth gebastelt, genannt „Peristal Singum“.  Vorbild ist die Zauberwelt aus „Alice im Wunderland“ – die Besucher dürfen sich in den Krabbelröhren selbst verlieren. Weniger verschroben geht es im Luftschutzbunker am Anhalter Bahnhof in der Schöneberger Straße 23a, Telefon 26 55-55 46, zu. Hier bietet das Berliner Gruselkabinett einen Mix aus Geisterbahn, Bunkermuseum und „Medizinexponaten“ an. Mit tatsächlichen medizinischen Horrorgeschichten, aber auch mit Richtstätten und parapsychologischen Erscheinungen Berlins setzt sich die Gotiktour „Schauer-Grusel-Katakomben“ auseinander. Immer samstags 18 Uhr und sonntags 20 Uhr wird die historische Stadtführung angeboten. Treffpunkt ist an der Marienkirche in der Karl-Liebknecht-Straße 8 in Mitte, Anmeldungen unter www.baerentouren.de oder Telefonnummer 46 06-37 88.

Stadt will zum Himmel

Wie New York ist die Stadt ja nicht gerade, ein paar Hochhäuser kann Berlin aber bieten. Das neueste am Zoo wird jetzt fertig - und eröffnet das Rennen auf eine neue Berliner Skyline.


Es wird ernst in der West-City. Das Waldorf-Astoria-Hotel steht kurz vor der Eröffnung, und stolz teilt man uns mit, mit 118 Meter Höhe werde das „Zoofenster“ das höchste Gebäude der City West sein. Das ist vorerst auch so. Doch noch in diesem Jahr will die Strabag schräg gegenüber das alte Schimmelpfeng-Haus abreißen und dann mit dem Bau des Turmes „Upper West“ beginnen. Vorgesehene Höhe: 118,8 Meter. Das klingt eine Handbreit höher als der Nachbar. Doch eine Nachfrage im Büro des Zoofenster-Architekten Christoph Mäckler ergibt schließlich, dass auch sein Hochhaus exakt 118,8 Meter misst – dies wurde nur nie richtig bekannt gemacht.

Einer der Bauherren könnte sich nun nach bewährtem Muster mit einer kleinen Antenne obenauf helfen. Das Rennen auf eine neue Berliner Skyline ist jedenfalls eröffnet, und wie in allen Städten der Welt speist es sich aus dem Drang der Bauherren, eine Handbreit höher anzukommen als der Vorgänger ums Eck. Offenbar herrscht die Sorge, ein nur „zweithöchstes Gebäude“ könnte sich als schwer vermarktbar erweisen.
Dabei sind sowohl Zoofenster als auch „Upper West“ ein ganzes Stück davon entfernt, die höchsten Häuser der Stadt zu sein. Denn diesen Titel trägt seit 1970 unangefochten das Hotelgebäude am Alexanderplatz, mit dem die DDR einst Weltgeltung beanspruchte und die „selbstständige politische Einheit Westberlin“ zu deklassieren suchte: Das heutige „Park Inn“ ist 125 Meter hoch – die Antenne oben drauf bringt es auf weitere 25 Meter.
Ebenfalls 125 Meter hoch sind die „Treptowers“, ein Nachwendebau, und über das dann folgende Gebäude würde die Stadt gern den Mantel des Schweigens werfen oder doch wenigstens die Abrissbirne dagegen: Es ist der Steglitzer Kreisel, der mit 119 Metern komischerweise genauso hoch ist, wie der künftige „Upper West“ sein soll – möglicherweise ist dessen Eröffnung eine Voraussetzung für das Ende des untoten Kreisels?
Die Kirchen, die einst führend nach oben strebten, haben sich aus dem aktuellen Rennen abgemeldet; gleichwohl ist der Berliner Dom 114 Meter hoch, und die Gedächtniskirche hatte mal 113 Meter, bevor ihr der Krieg die Spitze nahm, schon wieder so eine seltsame Fast-Gleichheit.
Ein ewiger Wettlauf? All jene, die Einfluss auf die Höhe der betreffenden Gebäude haben, weisen diese Unterstellung weit von sich. Nein! Die Höhe, nicht wahr, ergibt sich automatisch, wenn man unten anfängt und oben aufhört, wenn das Geld alle ist. Dennoch wäre zu wünschen, dass der nächste ehrgeizige Architekt nicht nur den Kreisel zu überflügeln versucht, sondern auch das Park Inn, damit mal ein wenig Dynamik in die Skyline kommt. Bis zum Burj Khalifa in Dubai (828 Meter) ist noch Spielraum, das muss ja nicht alles auf einmal eingeholt werden.
Dabei geht es ja in Berlin nicht nur um Häuser. Auch Berge werden immer genauer vermessen, und ihre Höhe ist keineswegs so zementiert, wie es den Anschein haben mag. Denn der Große Müggelberg (115,4 Meter) lag seit der letzten Eiszeit so da, wie er auch heute liegt, nur eben unangefochten von der Konkurrenz weit drunten. Die ist sehr neuzeitlich angeschwollen: Der Teufelsberg wuchs durch den Schutt des Zweiten Weltkriegs von „absolut unerheblich“ auf 114,7 Meter, zusätzlich erhöht durch die US-Radarstation. Und die Ahrensfelder Berge ...
Die sind etwas komplizierter. Zum einen liegen sie so weit draußen am östlichen Stadtrand, dass sie selbst eingeborenen Berlinern kaum bekannt sind. Zum anderen haben auch sie mal klein angefangen, der höhere westliche mit 67 Metern, unerheblich im Berliner Kontext. Doch dann luden die Ost-Berliner Bauarbeiter den gesamten Aushub der Neubaugebiete Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen auf ihnen ab, was für eine Höhe von 112 (westlich) und 101 Metern (östlich) reichte. Erst 1991 war Schluss mit dem Bauschutt, aus ökologischen Gründen.
Aber 112 Meter? Richtig, das konnte nicht so bleiben. Also wurde 2008 der Westgipfel um dreieinhalb Meter aufgeschüttet und mit einer Aussichtplattform gekrönt, und der Sieger war... der Große Müggelberg. Denn irgendwas sackte nach, und am Ende brachte es der Westgipfel doch nur auf 114,5 Meter, nach wie vor Platz drei. Der zuständige Stadtrat teilte nach der Messung treuherzig mit, ein Rekord sei auch ü-ber-haupt nicht sein Ziel gewesen, und dabei blieb es. Weitere Aufschüttungsabsichten wurden aus keinem Teil Berlins bekannt.
Daraus lässt sich auch für die Häuser lernen: Die endgültige Höhe steht erst dann fest, wenn sich alles gesetzt hat und der Experte mit dem Lasergerät sein Gutachten verkündet. Wer weiß, was da in der City West in den nächsten Jahren noch alles passiert

Scheeres will ein Kind Protection Plan

Pfleger sollen an der Charité in Zukunft strenger geprüft werden - aber das ist Wissenschaftssenatorin Scheeres nicht genug. Ein Kinderschutzkonzept muss her. Doch bis das umgesetzt ist, können Monate vergehen. Dabei drängt die Zeit, denn solche Grenzüberschreitungen an Kliniken sind beileibe keine Einzelfälle.


Die Charité, das größte Universitätsklinikum Europas, steht nach den jüngsten Missbrauchsvorwürfen vor umfangreichen Reformen im Umgang mit Patienten und Mitarbeitern. Erste Schritte wie die Pflicht zur Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses für alle Mitarbeiter in besonders sensiblen Bereichen und die Einsetzung eines „Kommunikationsmanagers“ an der Spitze der Klinik kündigte ihr Vorstandsvorsitzender Karl Max Einhäupl am Wochenende an.
Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD) forderte am Sonntag darüber hinaus gegenüber dem Tagesspiegel „ein tragfähiges Kinderschutz- und Präventionskonzept“ für die Charité. Bis zu diesem Montag soll Einhäupl der Senatorin einen Bericht über die aktuellen Vorgänge vorlegen. Scheeres hatte es in den vergangenen Tagen als „unerklärlich“ bezeichnet, dass ein 58-jähriger Pfleger, der bereits in den Vorjahren wegen Übergriffen aufgefallen war, weiterhin dort tätig war und nun eine 16-jährige Patientin missbraucht haben soll. Auch hatten sie und andere Politiker kritisiert, dass der Fall seitens der Klinik zu spät bekannt gemacht worden war.
Die von Einhäupl angekündigten Schritte sind voraussichtlich nur ein kleiner Teil einer umfangreicheren Aufarbeitung. Die aktuelle Debatte dürfte die Klinik noch Monate beschäftigen, sagte Sigrid Richter-Unger von der Beratungsstelle „Kind im Zentrum“ dem Tagesspiegel am Sonntag. Sie gehört zu der Expertengruppe, die die Charité beim Umgang mit den Vorgängen beraten soll und sich unter Leitung der früheren Bundesjustizministerin Brigitte Zypries an diesem Montag zum ersten Mal trifft.

Beim privaten Helios-Klinikum in Berlin-Buch habe es mindestens ein dreiviertel Jahr gedauert, bis die Klinik alle Konsequenzen aus einem Missbrauchsfall im Jahr 2010 gezogen hatte, sagt Richter-Unger, die auch damals Beraterin war. Dazu gehörte neben Schulungen und Gesprächen mit Mitarbeitern der Einbau von Kameras auf der Kinderstation, zudem wurden in vielen Krankenzimmertüren Scheiben eingebaut. Senatorin Scheeres sagte, das Expertenteam habe „die notwendige Professionalität und Erfahrung, um die Schwachstellen zu finden“.
Nach Einschätzung des CDU-Gesundheitspolitikers Gottfried Ludewig muss die Charité „ihre Kommunikationskultur grundlegend ändern“. Statt zu versuchen, Probleme intern zu regeln, müsse eine „Fehler- und Kritikkultur“ etabliert werden, zu der auch die schnellere Information der Öffentlichkeit gehört.
Der SPD-Gesundheitspolitiker Thomas Isenberg sagte, die „Vorwärtsstrategie“ von Charité-Chef Einhäupl sei „überfällig“ gewesen, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Klinik wiederherzustellen.






Fälle von Grenzüberschreitungen kommen nach der Erfahrung von Tagesspiegel-Lesern an deutschen Kliniken häufiger vor und werden von den Verantwortlichen teilweise heruntergespielt. So berichtet die Kommentatorin mit dem Alias-Namen "Berliner Bärin" in einem Kommentar zu einem Charité-Text: „Ich habe mal einen Krankenhausaufenthalt abgebrochen, als mir ein Pfleger zu nah auf die Pelle rückte. Kommentar des Leitenden Oberarztes: Herr XY ist halt nicht einer unserer sensibelsten Mitarbeiter, haha! Während einer Kur etwas später: Der Pflegedienstleiter, kurz vor der Pensionierung, liebt "körperliche Kontaktaufnahme" zu Patientinnen. Eine Patientin reist deswegen ab. Kommentar der leitenden Ärztin: Ja, das Problem ist bekannt, seufz. Konsequenzen? Keine. Das Problem erledigt sich durch die Pensionierung dann wenig später selbst. (...) Persönliches Fazit: Grenzverletztendes Verhalten durch Pflegekräfte kommt dort vor, wo von Seiten der Stations- und Klinikleitung aktiv weggeschaut wird, das Ganze banalisiert und lächerlich gemacht wird und übergriffige Pfleger keine Konsequenzen zu fürchten haben. Die Charité braucht keinen Kommunikationsmanager, sie braucht Führungskräfte, die das Problem der sexuellen Belästigung ernst nehmen.“

Triebwerksausfall nach der Kollision mit einem Schwarm Gänse

Schäden durch Zusammenstöße mit großen Vögeln bleiben ein Problem der Fliegerei. Doch einen ähnlich schweren Zwischenfall wie jetzt hat es an Berlins Flughäfen seit Jahren nicht gegeben.
Ein Gänseschwarm war die Ursache für den Triebwerkausfall an einem Airbus A321 kurz nach dem Start in Tegel. Wie berichtet, hatten die 199 Passagiere des Lufthansa-Fluges LH 195 am Sonnabend bange Minuten erlebt, als die Maschine nach Tegel zurückkehrte. Die Piloten konnten den auch mit einem Triebwerk voll flugfähigen Jet aber sicher landen.
Kurz nach dem Start um 17.43 Uhr waren offenbar mehrere bis zu vier Kilo schwere Graugänse in eines der beiden Triebwerke geraten. Die Piloten entschlossen sich, das beschädigte Aggregat abzustellen und eine Notlage zu erklären, um möglichst schnell landen zu können. In knapp 1000 Metern Flughöhe drehte der Jet über Pankow eine Linkskurve und flog am nördlichen Stadtrand vorbei, um sich südlich von Nauen wieder auf den Landekurs zu begeben.
Weil der Lufthansa-Flug Vorrang erhielt, musste ein Airbus von Turkish Airlines aus Istanbul seinen Landeanflug abbrechen und eine Warterunde drehen.
Die Berliner Feuerwehr startete nach der Alarmierung durch die Flughafenwehr um 17.59 Uhr einen Großeinsatz. Auf das Stichwort „Notlandung droht“ fuhren 17 Fahrzeuge nach Tegel. In der Vergangenheit ist mehrfach die Kooperation geübt worden. Bei einem Einsatz hätte ein „Follow me“-Fahrzeug des Airports die Berliner Rettungswagen über das Areal zum richtigen Flugzeug gebracht. Doch am Sonnabend mussten die Helfer nicht eingreifen.
Der Jet rollte mit eigener Triebwerkskraft zurück ans Gate, sagte Lufthansa-Sprecher Jan Bärwalde. Der Umfang des Schadens wird noch untersucht. Die Mehrzahl der Passagiere flog gegen 20 Uhr mit einer Ersatzmaschine nach Frankfurt. Rund 20 Personen verzichteten auf einen erneuten Start.
Einen Zwischenfall mit Vögeln dieser Größe hat es laut Flughafen-Sprecher Lars Wagner in den letzten Jahren an Berlins Flughäfen nicht gegeben. Im Juli 2010 waren Reifen und Bremsen einer Maschine von EasyJet beschädigt worden, als die Piloten in Schönefeld wegen eines nahenden Vogelschwarms den Start abbrachen. Schäden durch Zusammenstöße mit größeren Vögeln sind ein großes Problem der Fliegerei. Nach der Statistik des Deutschen Ausschusses zur Verhütung von Vogelschlägen im Luftverkehr (DAVVL) gab es 2010 mit deutschen Flugzeugen 1298 festgestellte Kollisionen. Dabei kam es statistisch gesehen täglich – in 367 Fällen – zu Schäden. Geschäftsführer Christoph Morgenroth hat hochgerechnet, dass allein den deutschen Airlines so jährliche Kosten zwischen 18 und 45 Millionen Euro entstehen.
In Berlin gibt es wie an den meisten Flughäfen einen Vogelschlagbeauftragten. Zwischen Startbahnen und Rollwegen lässt man das Gras hoch wachsen, weil die Vögel dann kein Futter sehen, Feinde am Boden befürchten und die Bereiche meiden. Zusätzlich werden Vögel mit Böllern vertrieben, in Schönefeld gibt es sogar drei fest installierte „Schreckknallanlagen“. Gegen Schwärme im Umfeld der Flughäfen sei man aber machtlos, sagt Lars Wagner. Graugänse sind in Flughöhen bis zu einem Kilometer anzutreffen.
Piloten werden vom DAVVL durch regelmäßige Vorhersagen gewarnt. Besonders gefährlich sind die Zugzeiten im Frühjahr und im Herbst. Zwar hat der saisonale Vogelzug seinen Höhepunkt überschritten, doch ist das Risiko nach wie vor hoch, teilte der Ausschuss kürzlich mit. Größere Tiere können schwere Schäden hervorrufen, nicht immer geht es so glimpflich aus wie Samstagabend. So zertrümmerte eine Blässgans im April 2010 ein Cockpitfenster einer Boeing 737 der Air Berlin, die sich im Landeanflug auf Hamburg befand. Der Flugkapitän wurde durch Splitter verletzt. Im wohl spektakulärsten Fall musste im Januar 2009 ein Airbus A320 von US Airways in New York auf dem Hudson River notwassern, nachdem Kanadagänse beide Triebwerke demoliert hatten.


Thursday, November 22, 2012

Studie: Studenten und sogar Grundschulen fühlen sich gestresst

Bereits in der zweiten oder dritten Klasse fühlt sich ein Viertel der Schüler gestresst. Die Auslöser sind Angst vor Tests, zu viele Hausaufgaben oder Streit mit den Klassenkameraden. Doch auch die Eltern haben die Möglichkeit, den Stress ihrer Kinder zu reduzieren.
Stress schon in der Grundschule: Bereits Kinder im Alter von sieben bis neun Jahren leiden offenbar unter Leistungsdruck. Ein Viertel der Zweit- und Drittklässler fühlen sich häufig gestresst, wie die am Mittwoch in Berlin vorgestellte repräsentative Kindergesundheitsstudie des Instituts für Sozialforschung PROKIDS und des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) ergab. Besonders oft nannten die befragten Kinder die Schule als Auslöser.
Insgesamt hätten ein Drittel der jungen Teilnehmer Aspekte aus dem Schulalltag als Stressfaktoren angegeben, sagte die Studienleiterin Anja Beisenkamp. Dazu zählten etwa Hausaufgaben oder Tests. An zweiter Stelle folgten Ärger und Streit.
Dies belastete 21 Prozent der Befragten. „Mädchen fühlen sich durch Streit mit anderen viel häufiger gestresst als Jungs“, erläuterte Beisenkamp. Am dritthäufigsten wurden Familie, Eltern und Geschwister genannt.
Für die Studie wurden den Angaben nach im Sommer 2011 fast 5.000 Kinder im Alter von sieben bis neun Jahren aus elf Bundesländern befragt. Die Schulkinder erhielten dazu Fragebögen, die sie anonym ausfüllen sollten. Nicht teilgenommen haben die Bundesländer Bayern, Bremen, Hamburg, Thüringen und das Saarland.

Während die Schule als Stressfaktor in nahezu allen teilnehmenden Bundesländern am häufigsten genannt wurde, litten die Kinder in Berlin stärker unter Ärger und Streit. Die Schule wurde dort erst an dritter Stelle genannt. Was der Grund dafür ist, blieb unklar. Die Ursachen seien in dieser Studie noch nicht analysiert worden, sagte Beisenkamp.
 DKSB-Sprecher Friedhelm Güthoff kritisierte, dass in Deutschland meist schon in der vierten Klasse entschieden werde, auf welche weiterführende Schulart Kinder nach der Grundschule gehen sollen: „Sie kommen unter Druck, sie haben Angst vor Ausgrenzung, Angst, nicht mithalten zu können.“ Die Studie ergab weiter, dass schon Kinder im Grundschulalter ein ausgeprägtes Gesundheitsverständnis haben. So gaben etwa 90 Prozent der Befragten an, eine gesunde Ernährung und Bewegung seien wichtig.
Allerdings schrieben acht Prozent der Kinder, sie erhielten nie ein Frühstück vor Schulbeginn. Sogar zehn Prozent der Schüler gaben an, sie bekämen nicht jeden Tag eine warme Mahlzeit.
Der Arzt und Autor Dietrich Grönemeyer warnte, Kinder, die ohne Frühstück in den Unterricht müssten, seien unkonzentrierter, nervöser und bekämen Heißhunger. Stillten sie diesen mit Süßigkeiten, könnten sie zu dick werden. Er forderte unter anderem Gesundheitsunterricht an Schulen von Ärzten oder Krankenschwestern. (dapd)

Berlin testet Blaulicht Fußgängerzone

Mit mehreren Modellprojekten will der Senat Fußgängern den Weg durch die Stadt erleichtern: Ampeln mit Blinklicht und Countdown gehören ebenso dazu wie "Begegnungszonen" mit Tempo 20 in mindestens zwei Bezirken.
Wo präsentiert man eine neuartige Fußgängerampel? Im Rotlichtviertel. Am Donnerstag nahm Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) am Stuttgarter Platz in Charlottenburg die erste von zunächst sechs Ampeln in Betrieb, die Fußgängern helfen sollen, Straßen sicherer und komfortabler als bisher zu überqueren. Weitere Ampeln mit neuartigen Schaltungen sollen demnächst folgen. Außerdem werden mindestens zwei Straßen modellhaft zu „Begegnungszonen“ umgestaltet, in denen Autos zum Langsamfahren gezwungen werden sollen. Alle Vorhaben sollen zunächst exemplarisch getestet werden. Ob sie ausgeweitet werden, wird erst später entschieden.
Mit den Modellprojekten wird die 2011 vom rot-roten Vorgängersenat beschlossene „Fußverkehrsstrategie“ umgesetzt, mit der die umweltfreundlichste und billigste Art der Fortbewegung erleichtert, aber auch die Alterung der Bevölkerung berücksichtigt werden sollen.
Die Ampel an der Kreuzung von Lewishamstraße, Kaiser-Friedrich-Straße und Stuttgarter Platz ist eine von dreien, an denen mit dem Ende der Grünphase das rote Licht für Fußgänger zunächst einige Sekunden lang blinkt. Es signalisiert Fußgängern, die Fahrbahn zu verlassen und nicht mehr zu starten. Ebensolche Schaltungen wurden an der Französischen / Charlottenstraße in Mitte und der Lietzenburger / Joachimstaler Straße in Wilmersdorf aktiviert. Sie sollen Fußgängern das ungute Gefühl beim Laufen über die schon rot zeigende Ampel nehmen – und Autofahrern zeigen, dass die Fußgänger noch zu Recht auf der Fahrbahn sind. Bernd Herzog-Schlagk vom Fachverband FUSS e. V. lobt das Pilotprojekt, weil es eine Art „Gelbphase“ für Fußgänger schafft: Schließlich würde es umgekehrt „keinem Fußgänger im Traum einfallen, Autofahrern zu drohen, wenn diese noch bei Gelb die Kreuzung verlassen“.
Als Alternative testet der Senat ab Anfang Dezember an drei Kreuzungen grün blinkende Fußgängerampeln. Die Botschaft: Gleich wird es Rot, so dass nur schnelle Fußgänger noch losgehen sollten. Diese Variante ist beispielsweise in den USA und Österreich längst üblich. In Berlin wird sie an dem Knoten am Bahnhof Jannowitzbrücke, an der Lüneburger / Paulstraße in Moabit und der Straße des 17. Juni / Yitzhak-Rabin-Straße erprobt. Dass der rein zufällige Premierenfußgänger am Stuttgarter Platz am Donnerstag beim Blinken des roten Ampelmannes zu rennen begannen, war nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Die sogenannte Räumzeit – also der Puffer, bis der Querverkehr Grün bekommt – soll bei neu programmierten Ampeln verlängert werden: Während der „Norm-Fußgänger“ bisher bei mindestens 1,2 Meter pro Sekunde (4,3 km/h) rechtzeitig das rettende Ufer erreicht, sollen künftig 1,0 Meter pro Sekunde (3,6 km/h) genügen.
Als weitere Neuerung werden im nächsten Jahr Ampeln mit einem dritten Feld installiert: Bevor die Fußgänger Rot bekommen, verschwinden nacheinander die Leuchtbalken eines stilisierten Zebrastreifens. Dass diese mutmaßlich erklärungsbedürftige Variante gewählt wurde und kein klassischer Countdown wie anderswo auf der Welt, begründete ein Verkehrsplaner mit den in Berlin üblichen Vorrangschaltungen für die BVG: Ein nahender Bus oder eine Tram könnte mit seiner Grün-Anforderung per Funk die bereits laufenden Sekundenzähler für die Fußgänger durcheinanderbringen.
Die ebenfalls seit 2011 geplanten „Begegnungszonen“ lassen allerdings noch auf sich warten: Wahrscheinlich 2014 sollen solche Bereiche in der Bergmannstraße (Kreuzberg) und der Maaßenstraße (Schöneberg) eingerichtet werden. Hauptbestandteil ist ein Tempolimit von 20 km/h, das durch Engstellen in der Fahrbahn auch durchgesetzt werden soll. Außerdem sind Parkverbote und/oder Mittelstreifen geplant, damit Fußgänger gefahrlos herumlaufen können. An Details wird noch gearbeitet. „Man muss sich auch mal ehrlich machen“, sagte Müller mit Blick auf das Vorhaben, das nur in Bereichen erprobt werden soll, in denen Fußgänger ohnehin längst in der Mehrheit sind. Stefan Jacobs


Dahlem Gesundbrunnen

Auf dem früheren Klinikgelände des Oskar-Helene-Heims wird gebaut: Investoren planen ein medizinisches Zentrum und ein Wohnviertel. Und nebenan rollen die Bagger für zwei weitere Projekte.
Berlin - Vom traditionsreichen Oskar-Helene-Heim (OHH) ist nicht mehr viel übrig. Seit die Klinik 1999 ins Behring-Krankenhaus verlagert wurde, gibt es auf dem Gelände neben dem gleichnamigen U-Bahnhof in Zehlendorf nur noch einige Arztpraxen und eine Filmfirma, die leer stehende OP-Säle zum Beispiel als Kulissen für „Tatort“-Krimis nutzt. Bis 2014 soll aber wieder mehr Leben einkehren: Am Donnerstag stellten Investoren ihre Pläne für eine Wohnsiedlung und einen Gesundheitsstandort vor.
Das Bauvorhaben ist eines von dreien rund um die Clayallee: Auf der Truman Plaza, wo früher das Deutsch-Amerikanische Volksfest gefeiert wurde, errichtet der Investor Stofanel zurzeit umstrittene große Geschäftshäuser und die Luxuswohnsiedlung „Fünf Morgen Urban Village“.


Auch gegenüber, im einstigen Berliner Hauptquartier der US-Armee, haben Arbeiten für ein Wohnungsbauprojekt namens „Metropolitan Gardens“ begonnen.
Im südlichen Teil des elf Hektar großen Geländes des Oskar-Helene-Heims plant die Berliner Firma „Die Wohnkompanie“ 30 Doppel- und Reihenhäuser sowie zehn weitere Gebäude mit 100 Miet- und Eigentumswohnungen, die laut Geschäftsführer Stephan Allner „für einen Kapitalanleger reserviert“ sind. Die Reihenhäuser im künftigen „Oskar-Helene-Park“ entstehen zur Clayallee hin, zusätzlich gepflanzte Bäume sollen sie vom Lärm der verkehrsreichen Straße abschirmen. Wohnungskäufer werden dort 3800 bis 4450 Euro je Quadratmeter zahlen. Teurer sind die einzelnen Häuser mit bis zu 5200 Euro je Quadratmeter. Als Zielgruppe gelten vor allem „Zehlendorfer der Generation 50 plus“.
Im nördlichen Teil am U-Bahnhof entsteht der Gesundheits-Campus. Diese Idee liegt nicht nur geschichtlich nahe, der Bezirk hatte eine mindestens 50-prozentige Nutzung für medizinische Zwecke auch vorgeschrieben. Steglitz-Zehlendorf hat den stadtweit höchsten Altersdurchschnitt. Andererseits gibt es dort es eine Überversorgung mit Arztpraxen. Deshalb betonen die Planer, man wolle nur Ärzte aus Zehlendorf ansiedeln. „Die Mediziner sollen etwa aus einem Umkreis von drei Kilometer kommen“, sagte Peter Wulff, der sich mit seiner Blue Health GmbH auf den ambulanten Gesundheitsmarkt spezialisiert hat. Er entwickelt das Projekt mit der Planungsgesellschaft KEC des Architekten Jürgen Kahl.
Unter dem Titel „eins – alles für die Gesundheit“ sind eine Privatklinik für Orthopädie und Chirurgie, ein „Meridian Spa“-Wellnesszentrum, ein Radiologie- und ein Krebszentrum und weitere Praxisbereiche geplant. Die momentan auf dem Gelände ansässigen Sport- und Fachärzte können bleiben und erhalten während der Bauzeit provisorische Praxisräume. Außerdem laufen Verhandlungen für ein Vier-Sterne-Hotel mit 110 Zimmern – alternativ ist ein Pflegeheim angedacht. Darüber hinaus gehören eine Apotheke, ein Reformhaus und ein Sanitätsgeschäft zum Konzept.
Ein Ärztehaus ist aber auch nebenan auf der Truman Plaza geplant. Mit dem dortigen Investor Stofanel haben die OHH-Bauherren eine Kooperation vereinbart. Diese sieht vor, dass bestimmte Fachrichtungen nur auf einen der beiden Standorte ziehen.

Die Baugenehmigung für das Oskar-Helene-Heim liegt noch nicht vor, doch laut Bezirksbaustadtrat Norbert Schmidt (CDU) ist nur noch „etwas Feinabstimmung“ notwendig. Die Investoren wollen im Winter mit den Arbeiten starten. Unberührt bleibt die geschützte große Waldfläche im Westen, an deren Rand ein öffentlicher Fuß- und Radweg den Fischtalpark mit dem U-Bahnhof Oskar-Helene-Heim verbinden soll. Auch die alte Direktorenvilla und ein Schwesternwohnheim bleiben stehen – alles andere wird abgerissen.

Weihnachtsbaum am Haken

Feierstimmung in Mariendorf: Die Fichte für den Breitscheidplatz ist gefällt. Zwölf Männer und acht Liter Glühwein – ein Ortstermin.
Nein, nein, dass der Baum endlich weg ist, sei eine prima Sache, sagt die Nachbarin, als alles vorbei ist und der Weihnachtsbaum auf dem Tieflader liegt. So ein Flachwurzler direkt am Haus sei schließlich nicht ungefährlich, keinen Halt in der Erde, die Wurzeln drücken gegen den Keller, alles nicht so dolle. Wenn dann noch die Sitkalaus den Baum befällt, reicht ein Sturm und das Dach ist kaputt, na schönen Dank.
Mariendorf, Donnerstagmorgen: Reinhold Becker, 65, graue Haare, goldene Brille, Baumspender für den Weihnachtsmarkt: „Das ist keine Tanne, sondern eine Stechfichte, aber schreiben Sie ruhig Tanne“, empfiehlt er. Viel wichtiger ist doch, dass der Baum, der am heutigen Freitag auf dem Breitscheidplatz aufgestellt werden soll, den Menschen Freude macht, wenn der Weihnachtsmarkt am 26. November startet.

Also endlich mal ein richtiger Baum an der Gedächtniskirche und keine Abknicktanne. Auch keine Kunstbäume aus Schrott oder leuchtende Plastikkegel. Mit anderen Worten: ein Baum, wie er selten auf dem Breitscheidplatz zu sehen ist – ein guter Baum. Und die nächste gute Nachricht ist nicht fern: Nadelbäume sind in Berlin nicht geschützt, Herr Becker kann einfach drauflosfällen lassen.
Alles super in Mariendorf also, und wenn es nach Herrn Becker geht, beginnt die Party gleich heute. Acht Liter Glühwein hat er besorgt, für Anwohner und Handwerker, von denen ein gutes Dutzend um den 15 Meter hohen Baum herumsteht, raucht, friert, nichts trinkt.
Jetzt kommt der Kran, zwölf Tonnen pro Achse, macht bei vier Achsen insgesamt 48 Tonnen, sagt der Firmenchef, ein Mann der Zahlen, signalrote Jacke. Mit sieben Mann sei man „angetreten“, entschlossen blickende Arbeiter, die nicht den Eindruck erwecken, als könne irgendwas schiefgehen. „Wir sind schließlich Profis“, sagt einer von ihnen, tritt auf die Straße und beginnt mit wuchtigen Bewegungen, den Verkehr umzulenken. Als die Fotografen kommen, zuppelt der Chef einer Tischlerei das Werbeschild seiner Firma vor deren Objektive. „Das machen wir hier immer so“, sagt er. Aber auch die Arbeitnehmerseite hat medial aufgerüstet: Im Kran-Führerhäuschen weht die rote Fahne der IG Bau, darunter eine Flasche Wasser. Dann kommt Stefan Bork, Baumpfleger seit sechs Jahren, und klettert in die Fichte. „In diesem Moment haben Ihre Männer Hand angelegt an den Baum. Damit ist er in Ihren Besitz übergegangen“, sagt Reinhold Becker, weihevoller Ton, zu Michael Roden. Der ist Chef der Berliner Schausteller, die Kosten für das Baumfällen – geschätzt mehrere hundert Euro – gehen auf seinen Deckel.
Eine Motorsäge wird angesetzt, einmal brumm und aus. „Der Baum ist gefällt“, jubelt ein Radiosprecher in sein Mikrofon, „Jaja“, sagt Michael Roden. Seite 16

Brüderle: "Wir brauchen eine Kultur der zweiten Chance"

Verena Delius und Rainer Brüderle diskutierten zum 20. UdL Digital Talk über den deutschen Gründungsboom, Berlin als heimliche Hauptstadt der Technik-Unternehmen und die große Frage: Wie viel Unternehmergeist steckt wirklich in Deutschland?
Immer wieder wird er beschworen, der Gründungs-Boom in Deutschland. Laut einer Studie der Telefonica Digital steht Berlin jedoch lediglich auf Platz 17 der unternehmerfreundlichsten Städte weltweit. Grund genug für die Organisatoren des UdL Digital Talks, die Frage nach dem Unternehmergeist in Deutschland zu stellen. Wahrscheinlich auch Grund genug dafür, dass die Anzug- und Krawattendichte im Base Camp an der Friedrichsstraße deutlich höher ausfällt als sonst. Über 100 Personen hatten sich angemeldet, um den Diskussionsbeiträgen von Rainer Brüderle und Verena Delius zu lauschen.
Delius, sichtlich entspannter als noch bei Ihrem Auftritt bei Stefan Raabs Polit-Talk "Absolute Mehrheit", eröffnet ohne Scheu die Diskussion mit einem ersten Streitpunkt. Unternehmergeist könne man lernen, so Delius' These. Man müsse sich nur die "richtigen Vorbilder suchen". In der Schule seien diese aber "eher weniger" zu finden. So sieht Offensive aus. Rainer Brüderle bleibt nichts übrig, als ihr zuzustimmen. "Die Schule heute bereitet einen nicht auf Unternehmertum vor", gibt er unumwunden zu Protokoll. Zu standardisiert sei das Schulsystem. Auf Persönlichkeitsbildung werde zu wenig Wert gelegt, zu wenig das problemorientierte Denken und Handeln gefördert. Dabei hätten junge Menschen heute "durch das Internet bessere Chancen als früher", so Brüderle. Delius setzte noch einen oben drauf: Dass die Schüler im Umgang mit den digitalen Welten häufig fitter seien als die Institutionen, die sie in selbigen schulen sollten, sei ein großes Problem.
Unternehmergeist sei aber auch eine Frage der Einstellung. Viele potenzielle Unternehmer seien zu risikoscheu - so die These des Abends. Dabei sei die Angst vor dem Scheitern ganz normal, beteuern beide Diskussionsteilnehmer aus eigener Erfahrung. Delius' persönlich Anekdote über ihren kleinen unternehmerischen Ausflug als Sushi-Bar-Besitzerin in Bielefeld sorgt für den ersten Szenenapplaus des Abends. Die Lacher weichen jedoch schnell einem zustimmenden kollektivem Brummen: "Wir sind keine besonders unternehmerfreundliche Gesellschaft."
Die Lust, andere beim Scheitern zu beobachten ist groß, die Neiddebatte eröffnet. "Wir sind glücklich, wenn andere scheitern, zeigen wenig Stolz", schimpft Verena Delius sich in Rage. Eigenverantwortung möchte kaum einer übernehmen. "Diese Werte werden aber auch nicht vermittelt", sagt sie. Scheitern hat immer auch etwas mit Scham zu tun. Die deutsche Sprache sei eben "verräterisch", meint Brüderle. Statt Bankrott oder Konkurs müsste man den Neustart in den Vordergrund stellen, den Respekt für die Risikobereitschaft. „Wir brauchen eine Kultur der zweiten Chance“, fordert der FDP Fraktionsvorsitzende. Die Probleme im deutschen Unternehmertum seien schließlich in dieser Mentalitätsfrage verankert. "Über Erfolg spricht man nicht", zitiert er. Und plädiert gleichzeitig für mehr Offenheit.

Dass dieser Mentalitätswandel nicht nur bei Unternehmern in der Wirtschaft stattfinden muss, gibt er jedoch erst auf explizite Nachfrage zu: Den Mentalitätswandel vorleben wäre ein erster Schritt, offensiv für den Standort Deutschland zu werben ein weiterer. Ob damit den Deutschen die Angst vor Neuerungen genommen wird, ist fraglich.
Unternehmer dürften sich trotzdem nicht aus der Verantwortung nehmen. Vielen fiele es schwer, Eigenverantwortung zu übernehmen, so die Beobachtung von Delius: "In Deutschland wird immer zuerst nach dem Staat gerufen." Auch wenn öffentliche Förderprogramme ihrer Meinung nach oft an den Bedürfnissen von Start-Ups vorbeigingen. Als Geschäftsführerin muss sie es wissen.

Aber auch sonst hat Verena Delius genaue Vorstellungen davon, wie die Politik Start-Ups und deutsche Unternehmer unterstützen könnte: Durch das Öffnen nach Europa. "Deutschland hat die europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit lange abgelehnt." Der damit verbundene Fachkräftemangel könne aber nicht durch Zwangsumschulungen gelöst werden: "Programmierer wird man nicht mal eben weil die Politik denkt, das wäre doch ganz praktisch. Das sind Künstler." Ein Unternehmen zu gründen heißt noch lange nicht, dass man auch ein Unternehmen führen kann, gibt Brüderle zu bedenken. Nicht jeder habe schließlich ein Talent für alles. "Man kann auch im öffentlichen Dienst etwas Vernünftiges machen", so Brüderle.
Zum Abschluss darf Brüderle das parteikonforme Programm intonieren und zum Ausdruck bringen, wie optimistisch er in Bezug auf den deutschen Unternehmergeist sei. Deutschland sei eines der wettbewerbsstärksten Länder mit großem Potenzial. "Wir ruhen uns aus", kontert Delius ein letztes Mal. Und am Ende bleibt die Frage nach unserer Vision im Raum stehen. Wo wollen wir eigentlich hin?


Sunday, November 18, 2012

Die Zahl der Todesopfer von den Radfahrern auf Stufe aufnehmen

Bereits 14 Berliner Radler verunglückten in diesem Jahr tödlich. Die Polizei hat daher die Lichtkontrollen auf den Straßen verstärkt, der Fahrradclub ADFC bezweifelt aber, dass fehlende Beleuchtung die Haupt-Unfallursache ist.

Die Zahl der in Berlin getöteten Radfahrer steuert auf einen neuen Höchststand zu. Der am vergangenen Dienstagabend verunglückte 64-Jährige ist der 14. getötete Radfahrer in diesem Jahr, der höchste Stand seit 2003. Hans-Peter M. starb an den Folgen eines Unfalls, der in dieser Art häufig ist, meist aber glimpflicher verläuft. Ein Autofahrer hatte in der Oranienburger Straße in Wittenau die Tür aufgerissen, der Radfahrer fuhr hinein und stürzte mit dem Kopf auf den Asphalt.

Der 64-Jährige trug keinen Helm.
Aber nicht nur die Zahl der Getöteten steigt, auch die Zahl der Verletzten dürfte in diesem Jahr deutlich nach oben gehen. In den ersten neun Monaten zählte die Polizei bereits 503 Schwer- und 3706 Leichtverletzte.
Die größte Gefahr für Radfahrer sind auch in diesem Jahr wieder rechts abbiegende Lastwagen. Fünf Menschen starben so, ein weiterer durch Linksabbieger. Im vergangenen Jahr waren sechs der elf Radfahrer durch Abbieger getötet worden. Angesichts dieser deutlichen Zahlen fordert der Fahrradklub ADFC die Polizei auf, endlich diese Unfallursache zu bekämpfen und auf die bisherigen Lichtkontrollen zu verzichten. Die Ende Oktober gestartete Präventionskampagne der Polizei „Dunkle Jahreszeit“ kritisierte die ADFC-Vorsitzende Eva-Maria Scheel als „Verschwendung von Steuergeldern“. Diese Lichtkontrollen benötigen viel Personal, bringen aber „wenig für die Sicherheit von Radfahrern“.


Dem widerspricht die Polizei. „Prävention muss sein“, sagte Andreas Tschisch, stellvertretender Leiter der Verkehrspolizei. Tschisch sagt aber auch, dass Rechtsabbieger und Rotlichtfahrer stärker kontrolliert werden müssen, die Radfahrer gefährden: „Das hat noch nicht den Umfang, den wir uns wünschen.“ Derartige Kontrollen seien weitaus personalintensiver, weil sowohl Auto- als auch der Radfahrer angehalten werden müssen und der Verstoß „gerichtsfest dokumentiert“ werden muss, entweder durch zwei Zeugen oder durch Videobilder. Zwischen Juni und Oktober hatte die Polizeidirektion 4 in Schöneberg und Steglitz bei 65 Kontrollen 1926 Radfahrer und 235 Autofahrer überprüft. Dabei wurden 173 Autofahrer erwischt, die beim Rechtsabbiegen die Vorfahrt parallel fahrender Radfahrer oder das Rotlicht von Ampeln missachtet hatten. Wegen des Personalmangels bei der Polizei sind derart umfangreiche Kontrollen aber die Ausnahme.


Seit Jahren streiten ADFC und Polizei über den Sinn von Lichtkontrollen. Nach Angaben des Radfahrklubs macht fehlendes Licht nur zwei Prozent aller Unfälle aus, ein Wert, den die Polizei „nicht nachvollziehen“ kann. Nach Tschischs Angaben ereignen sich 21 Prozent aller Radunfälle im Dunkeln oder in der Dämmerung, bei den tödlichen Unfällen waren es sogar 27 Prozent. Wie oft bei diesen Unfällen die fehlende Beleuchtung von Fahrrädern die Hauptursache war, gibt die Statistik allerdings nicht her.
In diesem Jahr starben drei Radfahrer im Dunkeln; fehlendes Licht war aber nie ursächlich. Hans-Peter W. hatte ebenso Licht am Rad wie der 57-jährige Polizist, der von einem betrunkenen Autofahrer Anfang Oktober in Pankow totgefahren worden war. Auch beim dritten Unfall spielte Licht keine Rolle, als sich zwei nebeneinander fahrende Radfahrerinnen berührten und eine stürzte.


ADFC und Polizei appellieren gleichermaßen an Radfahrer, mit Licht zu fahren. „Sehen und gesehen werden.“ Dabei nimmt es die Polizei bei ihren Kontrollen nicht so streng wie die Straßenverkehrszulassungsordnung: Die schreibt einen Dynamo als Stromquelle vor, sehr viele Radler benutzen jedoch – viel hellere – Batterielichter. „Ich freue mich über jeden Radfahrer mit Beleuchtung“, sagt Polizeioberrat Tschisch. Der Gesetzgeber hinke eindeutig hinter der Realität hinterher. Auch Radlerverbände kritisieren die völlig veraltete Bestimmung seit langem.

Bei der Hauptunfallursache Rechtsabbieger sind ADFC und Polizei aber wieder auf einer Linie. „Nicht nur auf Lkw-Fahrer schimpfen“, sagt ADFC-Unfallexperte Bernd Zanke, „sondern selbst auch gucken.“ Viele Radler verlassen sich viel zu sehr auf ihr Vorfahrtsrecht und sehen sich nicht um. Ein Polizist formuliert es drastisch: „Als Inschrift auf dem Grabstein hilft ,Ich hatte Vorfahrt‘ auch nicht mehr.“ Jörn Hasselmann

Berliner Schule Toiletten in dem Fall für die Entwicklungshilfe

Eine Dritte-Welt-Organisation befragte Berliner Kinder und erfuhr: 75 Prozent der Schüler meiden möglichst den Gang zur Toilette. Wie sieht es bei Euch in der Schule aus? Schickt uns Fotos Berliner Schultoiletten!

Wenn man in der Reineke-Fuchs-Grundschule in Reinickendorf die Toiletten sucht, kann man sich ganz auf seine Nase verlassen. Bis auf den Flur dringt der strenge Geruch. „Das sind die alten Rohre“, sagt Schulleiterin Margot Koch, „das geht nicht mehr weg.“ Dann öffnet sie die Tür zum Mädchenklo und zeigt auf das rostige Abflusssieb im Boden. „Hier wurde seit dem Bau der Schule vor fast vierzig Jahren noch nie etwas saniert.“ Am Waschbecken gibt es nur kaltes Wasser. Handtücher und Seife bringen die Kinder aus den Klassenzimmern mit. Die Fenster sind gekippt und mit leeren Klopapierrollen blockiert, damit sie nicht zuzufallen.
Die zwei Toilettenkabinen lassen sich nicht richtig abschließen. Vor allem aber reichen sie nicht für die drei Klassen, die sich dieses WC teilen sollen. „33 Kinder sollen hier aufs Klo, das ist noch nicht mal in einer großen Pause zu schaffen“, sagt Koch. Deshalb lassen die Lehrer die Kinder während des Unterrichts gehen.
Der Schulleiterin stinkt es schon lange, den Eltern auch. Zuletzt haben sich die Eltern im Oktober an die Bildungsstadträtin, das Schul-, Bau- und Gesundheitsamt gewandt. Getan hat sich bisher nichts. Nun will sich Bildungsstadträtin Katrin Schultze-Berndt (CDU) am Montag selbst ein Bild machen und die Schule besuchen. „Eigentlich haben Toiletten bei mir Priorität“, sagt sie.
Auch in der Behindertentoilette im Erdgeschoss riecht es nicht besser. Hier müsste zudem dringend eine Dusche eingebaut werden, weil sich einige der neun behinderten Schüler (Inklusionskinder) manchmal in die Hosen machen und dann gewaschen werden müssen. Um die Dusche bemühen sich Eltern und Schule seit mehr als vier Jahren – erfolglos.
Dass in vielen Berliner Schulen die Sanitäranlagen marode sind, weiß auch die Bildungsverwaltung. 2012 wurden die Mittel für das Schulsanierungsprogramm von rund 32 Millionen Euro auf rund 48 Millionen Euro erhöht. Im kommenden Jahr werden dafür 64 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Rund 250 Bauprojekte gibt es 2012. Doch das reicht offensichtlich nicht, um den Sanierungsbedarf an den mehr als 700 öffentlichen Schulen Berlins zu decken. Schulze-Berndt beziffert den „Investitionsrückstau allein für Reinickendorf mit 60 Millionen Euro“, für ganz Berlin wären ihrer Einschätzung nach eine Milliarde Euro nötig. Auch an der Reineke-Fuchs-Grundschule wird gebaut. Die Schule bekommt neue Fenster. Der Herr vom Bauamt sei sehr engagiert, sagt Schulleiterin Koch. Doch für die Toiletten sei jemand anderes zuständig.
In der Gustav-Falke-Grundschule in Wedding ist es der Schulleiterin Karin Müller zwar gelungen, die Toiletten im Pavillion der Schulanfänger sanieren zu lassen. Doch im Haupthaus sehen die Toiletten auch nicht besonders einladend aus. Da der Bezirk Mitte seit März vom Senat zwangsverwaltet wird, muss Mülller inzwischen sogar Toilettenrollen, die sie beantragt schriftlich begründen. Eigentlich sollten die zwar von der Regelung ausgenommen sein, doch den Antrag bekam sie trotzdem zurück. Auf die Begründung kam es ihr dann auch nicht mehr an. Im Pavillion der ersten und zweiten Klasse bringen die Eltern Toilettenpapier und Seifenspender selbst mit. Das dürfte durchaus repräsentativ sein.

Sascha Schneider hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Er ist Vizevorsitzender des Landesschüler-Ausschusses: „Jedes Jahr kommt diese Diskussion wieder.“ Thilo Panzerbieter, Geschäftsführer der German Toilet Organization (GTO), eines Berliner Entwicklungshilfevereins, berichtet von Anrufen aus Schulen im Bundesgebiet, die sich Hilfe bei ihrem anrüchigen Problem erhoffen. Dabei ist die GTO 2005 gegründet worden, weil weltweit 2,6 Milliarden Menschen keine WCs haben. In Indien, den Philippinen, Sambia und Sri Lanka hilft die GTO beim Toilettenbau.

Bei Schulbesuchen hat das GTO-Team herausgefunden, dass viele Schultoiletten in beklagenswertem Zustand sind. Sie haben 290 Schüler aus zwölf Berliner Sekundarschulen nach ihren Schultoiletten befragt: Elf Prozent der Kinder gehen nie auf die Toilette, 64 Prozent „nur im Notfall“. Drei Viertel der Kinder finden ihre Schultoilette nicht sauber genug. Mehr als die Hälfte beklagt, dass es nie oder nur selten Seife gibt. „So können sich Infektionen ungebremst verbreiten“, sagt Panzerbieter. Toilettenpapier fehlt genauso oft. In vielen Schulen ist das eine Reaktion auf den Vandalismus. Bernd Meier, der in der Max-Taut-Berufsschule die Ausbildung der Sanitär-, Heizungs- und Klimainstallateure leitet, berichtet von überlaufenden Toiletten, die mit Papier verstopft worden sind. Dennoch findet Panzerbieter, dass „90 Prozent der Kinder dafür bestraft werden, wenn man ihnen Papier und Seife wegnimmt“. Fast 60 Prozent der Kinder fühlen sich in ihren Toiletten übrigens nicht sicher. Es fehlen Trennwände bei den Urinalen, und oft lassen sich Türen nicht abschließen.
Damit sich zumindest ein bisschen etwas ändert, veranstaltet die GTO mit Sponsorenhilfe einen Wettbewerb. Bis März können sich Schulen bewerben. Der Preis: eine Toilettensanierung. Übrigens hat die GTO ihren Wettbewerb in einem Klassenzimmer der Max-Taut-Schule präsentiert. Statt Stühlen standen schwere weiße Toiletten vor den Tischen.



Senat bleibt: die Abschaffung der Gaslampen

Am Samstag haben etwa 250 Bürger für den Erhalt der Berliner Gaslaternen demonstriert. Doch die Kundgebung hat nichts geändert: Berlins Laternen werden elektrifiziert. Gnadenlos. Das spart Geld – und man sieht’s gar nicht.
Sie hängen schwarze Schleifen an die Peitschenmasten, auf jeder steht: „Verlass uns nicht!“ Sie argumentieren mit glühender Leidenschaft gegen den „Totalabriss des Kulturgutes Gasbeleuchtung in Berlin“, halten Transparente hoch für ihre „Gaslaternen mit Seele“. Am späten Samstagnachmittag schließt sich die Menschenkette rund ums Amtsgericht Charlottenburg. Etwa 250 meist ältere Bürger im Kiez an der Charlottenburger Kantstraße sind zufrieden, ihre Demonstration gegen die bevorstehende stadtweite Umrüstung der Gasbeleuchtung auf elektrischen Betrieb ist geglückt.

Doch auch der Senat ging zum Wochenende im Laternenstreit in die Offensive. Umweltstaatssekretär Christian Gaebler entgegnete den Protestlern, der Strombetrieb spare „massiv Kosten und Energie“ und verbessere „ganz erheblich“ die Umweltbilanz. Gaebler: „Bei den Gasreihenleuchten, deren Peitschenmasten meist an Hauptstraßen stehen, sind die Bauaufträge schon alle erteilt. Sie erhalten durchweg Leuchtstoffröhren.“ Die historischen Gasaufsatzleuchten in vielen Nebenstraßen, an denen das Kiezgefühl besonders entflammt, würden dagegen meist erst ab 2016 umgerüstet. Aber dann so, versichert der Staatssekretär, dass man dies anschließend gar nicht wahrnehme. „Ihr Äußeres bleibt erhalten und ebenso der warme Lichtton der vorherigen Gasbeleuchtung.“ Das sollen Leuchtdioden (LED) ermöglichen, die man dort statt der Leuchtstoffröhren einbauen will.
Um zu beweisen, dass dies keine leeren Versprechungen sind, lud der Staatssekretär am Freitagabend nach Einbruch der Dunkelheit Medienvertreter in die Falckensteinstraße am Schlesischen Tor in Kreuzberg ein. Dort betreibt seine Behörde seit einigen Wochen ein Pilotprojekt, das auch die letzten Zweifler überzeugen soll. Im Abschnitt zwischen Schlesischer und Wrangelstraße kann man an fünf Stellen jeweils gegenüberstehend zwei Aufsatzleuchten mit den historischen, gusseisernen Bündelpfeilermasten begutachten. Jedes dieser Paare ist ein Testobjekt: Auf der einen Straßenseite wird die Lampe wie bisher mit Gas befeuert, auf der anderen bereits mit Leuchtdioden (LED).

Christian Gaebler bleibt gleich vorne an der Einmündung der Falckenstein- in die Schlesische Straße stehen. Dann weist er auf die beiden dort aufragenden Eisenmasten mit den Laternenhauben und darunter angebrachten gläsernen Leuchtglocken. Es sind die klassischen Berliner Leuchten, die als besonders kiezprägend empfunden werden und vielen Bürgern vorrangig am Herzen liegen. „Quizfrage“, sagt Gaebler, „welche dieser beiden Laternen wird weiterhin mit Gas und welche mit Strom betrieben?“ Stille, niemand wagt eine Antwort, dann tippen einige – aber tatsächlich ist kein Unterschied zu erkennen. Beide Lampen verströmen ein sanftes, warmes Licht, wie man es von der Gasbeleuchtung gewohnt ist.

Mein Name ist Tina und ich Johnny

Am Samstagnachmittag hat die Schwester des Getöteten vom Alexanderplatz vor 600 Schülern gesprochen und ihre Initiative gegen Gewalt vorgestellt. In Berlin fehle der Respekt, meint Tina K. Dafür will sie jetzt an Schulen und Kindergärten werben.

Tina K. ist sehr nervös und etwas außer Atem. Gerade noch rechtzeitig hat es die Schwester des im Oktober auf dem Alexanderplatz erschlagenen Jonny K. zu ihrem Auftritt vor rund 600 Schülern an der Berlin Brandenburg International School in Kleinmachnow geschafft. Eigentlich sollte sie an diesem Sonnabend an der John-F.-Kennedy-Schule in Zehlendorf reden, aber wegen eines Wasserschadens musste die Veranstaltung verlegt werden.
Jeder hätte Jonny K. sein können, sagt Tina K. und setzt nach: „So ein Verbrechen darf nie wieder geschehen, deshalb bin ich hier.

“ Ihre Rede endet unter Tränen mit dem Satz: „My name is Tina and I am Jonny“. Alle Schüler standen daraufhin auf und applaudierten.
Das „I am Jonny“ bezieht sich auf die gleichnamige Stiftung, die Tina K. gründen möchte. Doch die Hürden sind hoch. 150 000 Euro bräuchte sie, um eine Stiftung zum Laufen zu bringen. So lange wollte sie nicht warten, sagte sie vor ihrem Besuch an der Schule. „Wir gründen jetzt am Montag erst einmal einen Verein“, sagt sie. An Schulen zu gehen, zu sensibilisieren, das könne sie selbst machen, sagt sie. Das koste kein Geld. Ihre Rede am Sonnabend sollte dazu den Auftakt bilden. Weitere Projekte hat sie schon in Planung, vernetzt sich, sammelt Ideen. Ihr Handy legt sie selten aus der Hand. Ihr normaler Job in der eigenen Werbefirma liegt deswegen auf Eis und man fragt sich, ob ihr das nicht alles zu viel wird. Sie lächelt im Gespräch und wirkt selbstsicher und entschlossen. „Um nicht weinen zu müssen“ wie sie sagt. Sie wolle zeigen: „Ich werde etwas gegen diese Gewalt tun.“
Am Alexanderplatz stehen noch immer hunderte roter Kerzen an der Stelle, wo Jonny K. im Oktober getötet wurde. Sie sind gesäumt von Blumen, dazwischen liegen unzählige Briefe. Beileidsbekundungen, Mutmacher, teils verzweifelte Zeilen, die Menschen hinterlassen haben, die die sinnlose Gewalt, die Jonny widerfahren ist, nicht fassen können. Tina K., die große Schwester von Jonny, steht jeden Tag mit ein paar Freunden davor. Sie trägt einen blauen Mantel, den Schal mehrfach um den Hals gewickelt gegen die Kälte. Immer kommt sie hierher, alle zwei Tage tauscht sie die Kerzen aus. Es gibt ihr Kraft, erzählt sie, dass Jonny nicht vergessen wird.
Neben ihr steht Kaze C. Ein guter Freund von Jonny. Er war in der Nacht dabei, als junge Männer so lange auf Jonny einschlugen, bis er starb. Auch er wurde verprügelt, verletzt, doch er lebt. Auch er kommt täglich zu Jonnys Mahnwache. „Jeden Tag, wenn wir hierherkommen, liegt etwas Neues da“, sagt er. Diesmal hat jemand eine Brille dazugelegt. Kaze weiß nicht warum. „Viele Leute unterstützen uns“, sagt er. „Aber es passiert auch viel Scheiße.“ Zum Gedenken an Jonny hingen hier auch T-Shirts, die ihm etwas bedeutet hatten. Nach und nach wurden sie gestohlen. Eine Deutschlandflagge, die neben der thailändischen hing, wurde zerstört. „Irgendjemand hat auch hierhin gepinkelt“, erzählt Kaze.

„Berlin ist eine Großstadt“, sagt Tina K. dazu. „Es fehlt der Respekt.“ Jenes Minimum an Respekt, das sie nun auch bei den mutmaßlichen Tätern vermisst. Einer hat sich in die Türkei abgesetzt. Zwei sind wohl nach Griechenland gegangen. Keiner möchte die Schuld auf sich nehmen.
Nach Jonnys Tod, erzählt die 28-Jährige, habe sie das Gefühl gehabt, sofort etwas unternehmen zu müssen. Jetzt will sie vor allem an Schulen und Kindergärten für mehr Respekt und Zivilcourage werben. „Eltern schicken ihre Kinder in die Schule und denken, die werden dort erzogen und die Lehrer fragen sich, warum das ihre Aufgabe sein soll. Wenn niemand sich zuständig fühlt, komme eben ich ins Spiel.“ Ihr Auftritt in Kleinmachnow war nur der Anfang.

Thursday, November 15, 2012

Bewahren Sie nur vier Wochen auf der Avus

Die Arbeiten auf der Avus werden ein Jahr früher abgeschlossen. Auch die Leidenszeit der Bahnkunden geht zu Ende.
Bald soll es vorbei sein: Ende November will die Senatsverkehrsverwaltung wie geplant die Bauarbeiten auf der Avus abschließen und den täglichen Stau dort auflösen. Nur der Tag der Wiedereröffnung stehe derzeit noch nicht fest, sagte die Sprecherin der Verwaltung, Daniela Augenstein. Seit Sommer 2011 müssen sich Autofahrer durch die Baustellen quälen; im morgendlichen und abendlichen Hauptverkehr verlängert sich die Fahrt in der Regel um rund eine halbe Stunde. Nach Angaben von Traffic Service Berlin, das den Verkehr aus der Luft beobachtet, gibt es aber auch immer wieder „Ausreißer“ mit bis zu 45 Minuten Stauzeit.
Ursprünglich sollte die Grundsanierung der Avus zwischen der Anschlussstelle Spanische Allee und Dreieck Funkturm erst im November 2013 abgeschlossen sein.

Die Verkehrsverwaltung hatte die Baufirmen aber mit einer Prämie dazu angetrieben, schneller zum Ende zu kommen. Und es hat geklappt: Um ein Jahr konnte die Bauzeit verkürzt werden.
Bis zum Abschluss der Arbeiten bleibt es stadteinwärts zwischen den Anschlussstellen Spanische Allee und Hüttenweg aber bei nur einer Fahrspur, was zum regelmäßigen Stau führt. Eine offizielle Umleitung gibt es nicht, die Verkehrsverwaltung empfiehlt, über die Potsdamer Chaussee, die Argentinische Allee, die Clayallee und den Hohenzollerndamm auszuweichen. Durchreisenden rät die Verkehrsverwaltung im Internet, „unbedingt“ über den Berliner Ring zu fahren.
Die Avus musste grundlegend erneuert werden; 28 Millionen Euro waren für die Arbeiten veranschlagt. Die Kosten trägt der Bund, der auch die Prämienzahlung in Höhe von einer Million Euro für das schnellere Arbeiten übernimmt. Das Verkürzen der Bauzeit war durch den Einsatz modernster Maschinen möglich.
Auch die Leidenszeit der Bahnfahrgäste auf der parallel zur Avus durch den Grunewald führenden Strecke steht vor dem Ende. Am 9. Dezember sollen hier wieder Regionalzüge fahren. Der Abschnitt Charlottenburg–Wannsee war vor einem Jahr unterbrochen worden, um Gleise und Brücken sanieren zu können. Und die S-Bahn, die hier weiter fuhr, ist von Zugausfällen und Verspätungen geplagt, obwohl die Verbindung hier Vorrang im Netz haben sollte. Hinzu kam eine Unterbrechung der S1 zwischen Wannsee und Nikolassee. Hier sollen die Züge ab dem 4. November gegen 7 Uhr wieder fahren. Vorher gibt es aber an diesem Wochenende noch Ersatzverkehr mit Bussen – erst zwischen Nikolassee und Schlachtensee und dann in der Nacht zu Sonntag von 0 Uhr bis 7 Uhr zwischen Nikolassee und Schöneberg.

Schwester K. Johnny hält eine Rede an der JFK School

Tina K., die Schwester des im Oktober am Alexanderplatz zu Tode geprügelten Jonny K., spricht am Samstag vor Schülern der John-F.-Kennedy-Schule in Berlin. Dort will sie auch über ihre Stiftung für Opfer von Gewaltverbrechen informieren.

Der gewaltsame Tod von Jonny K., der Mitte Oktober am Alexanderplatz zu Tode geschlagen wurde, machte Schlagzeilen und erschütterte viele Menschen. Die große Schwester von Jonny hat seither viel über den Vorfall gesprochen, in Talkshows, bei Anne Will und anderswo. Am kommenden Samstag hält sie nun eine Rede vor rund 600 Schülern der John-F.-Kennedy-Schule in Berlin. "Ich möchte diesen internationalen Schülern zeigen, dass solche Gewaltverbrechen überall passieren können", sagte Tina K. Die Schüler sind dort im Rahmen des "Berlin Model United Nations" - eine Simulation, während der sich die jungen Menschen mit den Vorgängen im Sicherheitsrat und den Vereinten Nationen beschäftigen.
"In zehn Jahren werden das die Führungskräfte im Land sein", sagte K. Sie wolle deutlich machen, dass Gewalt unabhängig von Alter, Herkunft und Stand in der Gesellschaft präsent sei.

Nach dem Tod ihres Bruders hatte sie unter anderem bei "Anne Will" angekündigt, eine Stiftung für die Opfer von Gewaltverbrechen gründen zu wollen. Auch darauf will sie in ihrer Rede eingehen. Die Stiftung soll offiziell aber erst am Mittwoch vorgestellt werden.

Senator will Gebäuden ggf. für Flüchtlinge nutzen

Bald könnten tausend Plätze für die Unterbringung von Asylbewerbern fehlen. Sozialsenator Mario Czaja erwägt deshalb drastische Mittel: Wenn es sein muss, will er Gebäude beschlagnahmen. Denn es gibt Streit um die Frage, wie eine gerechte Aufteilung der Belastungen aussehen könnte.
Die Situation sei schon ziemlich dramatisch, sagt Sozialsenator Mario Czaja (CDU): Im Oktober dieses Jahres hätten 1944 Menschen in Berlin einen sogenannten Erstantrag auf Asyl gestellt, im gleichen Monat des Vorjahres waren es 623. Die Anzahl der Flüchtlinge habe sich also verdreifacht, und auch wenn nicht alle in Berlin blieben, müssten doch erst einmal alle untergebracht werden. „Die Kapazitäten sind erschöpft“, sagt Czaja, „in wenigen Wochen könnten tausend Plätze fehlen.“ Jedenfalls, wenn nicht endlich jene Bezirke handelten, die bislang nur wenig Unterkünfte zur Verfügung stellen.
Ein letztes Mal will es Mario Czaja auf freiwilliger Basis versuchen: Am heutigen Donnerstag legt der 37-Jährige dem Rat der Bezirksbürgermeister ein Konzept vor, um Flüchtlinge in Berlin gerechter zu verteilen.

Beziehungsweise, um die Menschen, die in der Hauptstadt um Asyl bitten, überhaupt erst einmal unterzubringen. Demnach sollen beispielsweise Neukölln und Reinickendorf je rund 400 und Steglitz-Zehlendorf rund 500 Unterkünfte zur Verfügung stellen. Tun sie es nicht, will Czaja wie berichtet geeignete Gebäude beschlagnahmen.
Reinickendorfs Bezirksbürgermeister Frank Balzer (CDU) reagierte am Mittwoch gelassen auf die unverblümte Drohung. „Bevor man ein Objekt beschlagnahmen kann, muss man erstmal eines haben“, sagte er. „Und in Reinickendorf – das haben wir schließlich sorgfältig geprüft – gibt es keins.“ Warum es ungerecht sein soll, dass Lichtenberg und Tempelhof-Schöneberg derzeit 1160 beziehungsweise 776 Plätze zur Verfügung stellen, Reinickendorf aber nur 72, kann Balzer nicht erkennen. Zumal alle Bezirke – wie vom Senat gefordert – nicht genutzte Gebäude an den Liegenschaftsfonds übergeben mussten.
Der Bezirksbürgermeister von Steglitz-Zehlendorf, Norbert Kopp, wie Balzer und Czaja ebenfalls CDU-Mitglied, nannte das Anliegen des Sozialsenators in der Sache zwar berechtigt, in der Form jedoch „ein völlig unnötiges Muskelspiel“. Sein Bezirk prüfe bereits mehrere Objekte, unter anderen ein ursprünglich für Asylbewerber errichtetes Heim der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die sich jedoch weigere, dies wieder für den ursprünglichen Zweck zu nutzen.
Neuköllns Bildungsstadträtin Franziska Giffey (SPD) sagte, ihr Bezirk, der nur 44 Plätze zur Verfügung stellt, habe schon genug mit dem Zuzug von Roma aus Rumänien und Bulgarien zu tun, die kein Asyl beantragen müssen. „Und es geht ja nicht nur um die Unterbringung, sondern auch um den Schulbesuch der Kinder.“ Auch deshalb sei der Vorschlag, im Ortsteil Rudow ein Containerdorf für Flüchtlinge einzurichten, von den Neuköllner Bezirksverordneten abgelehnt worden.
Ein Containerdorf in Rudow entspricht den Vorstellungen des Sozialsenators ohnehin nicht. Czaja möchte nicht, dass die Flüchtlinge isoliert untergebracht werden. „Wir können nicht beurteilen, was sie zum Verlassen ihrer Heimat bewogen hat“, sagte er. „Aber wir müssen für menschenwürdige Unterkünfte sorgen.“
Erst am Mittwoch hatte das Deutsche Rote Kreuz „katastrophale Zustände“ in einigen Asylbewerberheimen beklagt, auch in Berlin. Zugleich warnte der Jesuiten- Flüchtlingsdienst vor Alarmismus wegen der gestiegenen Zahlen von Asylbewerbern. „Jetzt wird schon wieder von Flüchtlingsströmen gesprochen, dabei sind selbst die gestiegenen Zahlen weitaus geringer als zu Beginn der 90er Jahre“, sagte der Jesuitenpater Ludger Hillebrand.

Er arbeitet als Seelsorger in den Abschiebehaftanstalten von Berlin und Brandenburg, die seit längerer Zeit nicht mehr ausgelastet sind. Überlegungen, diese deshalb zusammenzuschließen, erteilte Hillebrand ebenso eine Absage wie der Vorstellung, man könne den Abschiebegewahrsam in Köpenick als Notunterkunft für Flüchtlinge nutzen. Das wäre unmenschlich, sagte er: „Das ist doch ein richtiges Gefängnis. Mit Mauern und Gittern und Türen, die sich nur von außen öffnen lassen. Da kann man doch keine Frauen und Kinder unterbringen oder Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan.“


Wednesday, November 14, 2012

Die Zahl der Todesopfer von den Radfahrern auf Stufe aufzuzeichnen

Bereits 14 Berliner Radler verunglückten in diesem Jahr tödlich. Die Polizei hat daher die Lichtkontrollen auf den Straßen verstärkt, der Fahrradclub ADFC bezweifelt aber, dass fehlende Beleuchtung die Haupt-Unfallursache ist.

Die Zahl der in Berlin getöteten Radfahrer steuert auf einen neuen Höchststand zu. Der am vergangenen Dienstagabend verunglückte 64-Jährige ist der 14. getötete Radfahrer in diesem Jahr, der höchste Stand seit 2003. Hans-Peter M. starb an den Folgen eines Unfalls, der in dieser Art häufig ist, meist aber glimpflicher verläuft. Ein Autofahrer hatte in der Oranienburger Straße in Wittenau die Tür aufgerissen, der Radfahrer fuhr hinein und stürzte mit dem Kopf auf den Asphalt.




Der 64-Jährige trug keinen Helm.
Aber nicht nur die Zahl der Getöteten steigt, auch die Zahl der Verletzten dürfte in diesem Jahr deutlich nach oben gehen. In den ersten neun Monaten zählte die Polizei bereits 503 Schwer- und 3706 Leichtverletzte.
Die größte Gefahr für Radfahrer sind auch in diesem Jahr wieder rechts abbiegende Lastwagen. Fünf Menschen starben so, ein weiterer durch Linksabbieger. Im vergangenen Jahr waren sechs der elf Radfahrer durch Abbieger getötet worden. Angesichts dieser deutlichen Zahlen fordert der Fahrradklub ADFC die Polizei auf, endlich diese Unfallursache zu bekämpfen und auf die bisherigen Lichtkontrollen zu verzichten. Die Ende Oktober gestartete Präventionskampagne der Polizei „Dunkle Jahreszeit“ kritisierte die ADFC-Vorsitzende Eva-Maria Scheel als „Verschwendung von Steuergeldern“. Diese Lichtkontrollen benötigen viel Personal, bringen aber „wenig für die Sicherheit von Radfahrern“.


Dem widerspricht die Polizei. „Prävention muss sein“, sagte Andreas Tschisch, stellvertretender Leiter der Verkehrspolizei. Tschisch sagt aber auch, dass Rechtsabbieger und Rotlichtfahrer stärker kontrolliert werden müssen, die Radfahrer gefährden: „Das hat noch nicht den Umfang, den wir uns wünschen.“ Derartige Kontrollen seien weitaus personalintensiver, weil sowohl Auto- als auch der Radfahrer angehalten werden müssen und der Verstoß „gerichtsfest dokumentiert“ werden muss, entweder durch zwei Zeugen oder durch Videobilder. Zwischen Juni und Oktober hatte die Polizeidirektion 4 in Schöneberg und Steglitz bei 65 Kontrollen 1926 Radfahrer und 235 Autofahrer überprüft. Dabei wurden 173 Autofahrer erwischt, die beim Rechtsabbiegen die Vorfahrt parallel fahrender Radfahrer oder das Rotlicht von Ampeln missachtet hatten. Wegen des Personalmangels bei der Polizei sind derart umfangreiche Kontrollen aber die Ausnahme.


Seit Jahren streiten ADFC und Polizei über den Sinn von Lichtkontrollen. Nach Angaben des Radfahrklubs macht fehlendes Licht nur zwei Prozent aller Unfälle aus, ein Wert, den die Polizei „nicht nachvollziehen“ kann. Nach Tschischs Angaben ereignen sich 21 Prozent aller Radunfälle im Dunkeln oder in der Dämmerung, bei den tödlichen Unfällen waren es sogar 27 Prozent. Wie oft bei diesen Unfällen die fehlende Beleuchtung von Fahrrädern die Hauptursache war, gibt die Statistik allerdings nicht her.
In diesem Jahr starben drei Radfahrer im Dunkeln; fehlendes Licht war aber nie ursächlich. Hans-Peter W. hatte ebenso Licht am Rad wie der 57-jährige Polizist, der von einem betrunkenen Autofahrer Anfang Oktober in Pankow totgefahren worden war. Auch beim dritten Unfall spielte Licht keine Rolle, als sich zwei nebeneinander fahrende Radfahrerinnen berührten und eine stürzte.

ADFC und Polizei appellieren gleichermaßen an Radfahrer, mit Licht zu fahren. „Sehen und gesehen werden.“ Dabei nimmt es die Polizei bei ihren Kontrollen nicht so streng wie die Straßenverkehrszulassungsordnung: Die schreibt einen Dynamo als Stromquelle vor, sehr viele Radler benutzen jedoch – viel hellere – Batterielichter. „Ich freue mich über jeden Radfahrer mit Beleuchtung“, sagt Polizeioberrat Tschisch. Der Gesetzgeber hinke eindeutig hinter der Realität hinterher. Auch Radlerverbände kritisieren die völlig veraltete Bestimmung seit langem.

Bei der Hauptunfallursache Rechtsabbieger sind ADFC und Polizei aber wieder auf einer Linie. „Nicht nur auf Lkw-Fahrer schimpfen“, sagt ADFC-Unfallexperte Bernd Zanke, „sondern selbst auch gucken.“ Viele Radler verlassen sich viel zu sehr auf ihr Vorfahrtsrecht und sehen sich nicht um. Ein Polizist formuliert es drastisch: „Als Inschrift auf dem Grabstein hilft ,Ich hatte Vorfahrt‘ auch nicht mehr.“ Jörn Hasselmann