Thursday, January 24, 2013

Ist Ihr Partner Pflegeeinrichtungen

Sie lebt sein Leben. Erträgt seine Launen. Dreht ihn im Schlaf. Seit fünf Jahren ist Wolfgang S. ein Pflegefall. Seine Frau würde ihn nie in ein Heim geben. Auch wenn der Alltag sie oft an ihre Grenzen bringt.

Sieben Stunden in der Woche hat sie für sich. Sieben Stunden jeden Dienstag. Sieben Stunden, in denen sie zur Ruhe kommen, sich erholen oder mal nur bummeln gehen sollte, sich etwas gönnen. Aber meistens lebt sie auch an ihrem Tag nur für ihn. Macht seine Termine, den Papierkram fürs Amt, den er nicht mehr erledigen kann, oder die Wäsche. Für sie bleibt keine Zeit mehr, seit ihr Ehemann vor fünf Jahren zum Pflegefall geworden ist. „Jeht ja auch nich’ anders, wa Bärli“, sagt sie und schaut ihn mit großen grünen Augen an.
Wolfgang und Susanne S. hatten andere Pläne. Ein freies, unbeschwertes Leben wollten sie führen und die Welt sehen, wenn sie einmal Rentner sind.
 Nun ist ihre Welt sehr klein geworden. Etwa 70 Quadratmeter.
So groß ist die Wohnung in Mariendorf, wo sie den Großteil ihrer Tage verbringen. Müssen. Die weite Welt hängt im Schlafzimmer, direkt vor ihren Augen, wenn sie abends in ihr ordentlich gemachtes Bett gehen. Drei Bilder nebeneinander: Strand, Meer, Himmel.
Wolfgang S. schaut jeden Morgen auf die eingerahmte Welt, als sähe er sie zum ersten Mal, und irgendwie ist es ja auch so. Vier Schlaganfälle haben sein Gedächtnis zerstört. Es war der Moment, den seine Frau als „Urknall“ bezeichnet, weil seither nichts mehr ist, wie es war. Weil seitdem nicht mehr ihr großer Wolfgang die Ansagen macht, sondern sie, die kleine Frau, die auf einmal alles allein zu verantworten und zu buckeln hat. Ihr Leben fing mit Mitte 50 komplett neu an, denn dass ihr Wolfgang im Heim alt wird, kam nicht in Frage.


Also umsorgt sie ihren Mann, so wie die allermeisten der zehn Millionen Deutschen es handhaben, die einen Angehörigen pflegen. Fast immer kümmern sich Frauen. Das hat das Allensbach Institut im Auftrag der R+V-Versicherung ermittelt. Durchschnittlich 61 Jahre alt sind sie und nicht berufstätig.
Susanne S. hatte einen Beruf, sie war Friseurin. Doch im vergangenen Jahr schmiss sie hin – und gab damit auch ihr letztes Stück Eigenständigkeit auf. „Man selbst hat nichts mehr“, sagt sie. „Aber man gewöhnt sich an alles.“ Das klingt bitterer, als sie es meint. Die 61-Jährige ist eine quirlige, anpackende Frau, die nicht fragt, warum es gerade ihren Mann getroffen hat, sondern nur, wie sie ihm am besten helfen kann.
Am Montagmorgen liegt Wolfgang S. im Streifenpullover und grauer Jeans unter einer Wolldecke auf der Couch. „Wat machen wa’n heute?“, fragt er.
Einkaufen gehen, Mittagessen, Spazierengehen, Fernsehen.

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